Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Legende der Angst

Legende der Angst

Titel: Legende der Angst
Autoren: Christopher Pike
Vom Netzwerk:
eben, auf die Füße und zu Mary zu kommen, bevor diese zum drittenmal den Abzug betätigte.
    »Stop!« schrie Angela.
    Der Schuß verfehlte sein Ziel. Jim hatte sich geduckt, als Mary das Gewehr auf ihn gerichtet hatte. Die Schrotkugeln rissen einen Krater in die Zimmerdecke. Staubiger weißer Putz rieselte herab. Jim war jetzt außer Sicht, möglicherweise rannte er zum nächstgelegenen Ausgang, um zu entkommen. Angela zweifelte daran, daß er es schaffen würde. Sie hörte, wie Mary fluchte, und sah dann, wie sie das Gewehr wieder durchlud und die Treppe hinaufeilte, wobei sie drei Stufen auf einmal nahm.
    Ich muß sie endlich aufhalten! schoß es Angela durch den Kopf.
    Die Treppe – sie bestand aus drei rechtwinklig aneinander anschließenden Absätzen mit teppichbelegten Stufen – führte hinauf in den ersten Stock. Als Mary auf dem ersten Absatz angelangt war, schaffte Angela es, zwischen den weißgestrichenen Pfosten des Geländers hindurchzugreifen, und Marys rechtes Bein gleich oberhalb des Knöchels zu packen. Aus dem Gleichgewicht gebracht, fiel Mary auf die Knie und verlor für einen Moment das Gewehr aus der Hand. Angela reagierte geistesgegenwärtig. Sofort ließ sie Mary los und griff den Schaft des Gewehres, um es zwischen den Pfosten des Geländers hindurchzuziehen. Soll Mary doch Jagd auf Jim machen, solange sie will, dachte Angela. Wenn sie dabei keine Waffe hat, um ihn zu töten, kümmert sich kein Mensch darum.
    Die Taktik war gut.
    Bis Mary Angela mit dem rechten Fuß ins Gesicht trat.
    »Halt dich da raus!« herrschte Mary sie an.
    »Ah.« Angela stöhnte, ließ das Gewehr entgleiten und taumelte einen Schritt zurück. Sie schmeckte Blut in ihrem Mund, und um sie herum drehte sich alles. Aber sie konnte immer noch deutlich genug sehen, um zu erkennen, daß Mary das Gewehr wieder aufnahm und weiter die Treppe hinauflief. Mit reiner Willenskraft verbannte Angela das Schwindelgefühl. Sie wußte, daß nicht genug Zeit blieb, die Stufen eine nach der anderen zu nehmen, wenn sie oben noch etwas ausrichten wollte. Sie war weder groß noch besonders stark, aber sie war immer eine hervorragende Turnerin gewesen. So streckte sie nun die Arme und sprang mit beiden Füßen ab. Sie bekam die Pfosten oberhalb zu fassen und schwang sich mit einer einzigen fließenden Bewegung hoch und über das Geländer. Mary hatte die Treppe bereits hinter sich gelassen und rannte den Flur entlang, an dem die Schlafzimmer lagen. Sie war ohne Zweifel hinter Jim her. Sie hatte sich den Weg zwischen zwei Mädchen hindurch gebahnt die wie versteinert dastanden. Angela konnte Jim nicht sehen, nahm aber an, daß er sich in einem der Räume im ersten Stock verbarrikadiert hatte.
    »Jetzt stoppt sie doch!« schrie Angela. Die Erstarrung, in die alle angesichts der unfaßbaren Morde verfallen waren, löste sich allmählich. Salzsäulen kehrten ins Leben zurück. Ein paar Jungs von unten liefen auf die Treppe zu, um Angela zu helfen. Die meisten der Anwesenden jedoch hasteten zur Haus- oder Hintertür hinaus. Einige von ihnen kämpften mit Brechreiz oder schrien. Die beiden Mädchen im Flur oben standen immer noch reglos und leise wimmernd da. Sie würden nichts tun, um Marys Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und bis die Jungs, die die Treppe hinaufstürmten, Mary erreicht hatten, konnte sie längst einen weiteren Schuß abgegeben haben, wie Angela erkannte.
    Ich muß sie aufhalten, dachte Angela wieder und rannte weiter.
    Mary war bei der geschlossenen Tür am Ende des Flurs angelangt und rüttelte daran. Sie war abgesperrt. Mary verlor keine Zeit damit anzuklopfen und Jim zu bitten, ihr zu öffnen. Sie wich ein paar Schritte zurück, richtete den Lauf der Waffe auf den Türknopf und pustete diesen einfach weg. Das Ganze dauerte nur wenige Sekunden, und sie trat gerade die Tür mit dem Fuß auf, als Angela sich von hinten auf sie stürzte.
    »Laß mich!« brüllte Mary, als sie gemeinsam in das große Schlafzimmer strauchelten und dort zu Boden gingen. Angela hatte das Gefühl, mit einem wilden Tier zu kämpfen. Sie und Mary waren in etwa gleich groß, aber Mary schüttelte sie mit Leichtigkeit ab. Angela rollte über den Teppich und stieß mit dem Kopf gegen die offenstehende Tür. Wieder sah sie Sterne vor ihren Augen tanzen. Aus den Augenwinkeln sah sie, daß Jim beim Fenster stand und daß Mary sich auf die Beine hochrappelte und das Gewehr ein weiteres Mal durchlud. Angela mußte sich einen Moment abwenden, um sich so zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher