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Legende der Angst

Legende der Angst

Titel: Legende der Angst
Autoren: Christopher Pike
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T-Shirt darübergezogen haben.
    Der Polizist warf sich sofort flach auf den Boden, obwohl Mary nicht in seine Richtung zielte. Sie wollte Jim erschießen – nur Jim. Sie wollte ihn töten, und wenn sie dabei selbst draufging. Funken orangefarbenen Feuers zuckten in Jims Richtung. In Angela spannte sich jeder Muskel an, als Jim aufschrie und zu Boden stürzte.
    Dann war ein zweiter Schuß zu hören – und ein zweiter Schrei. Marys Rechte schwang im Kreis, ließ Mary taumeln. Unglaublich, der Polizist hatte ihr die Pistole aus der Hand geschossen. Und wie es sich anhörte, hatte er Mary dabei verletzt. Mary schrie vor Schmerzen, und dabei war sie nicht allein. Zu Angelas Füßen brüllte Jim gequält und hielt sich das linke Bein in Höhe des Knies. Zumindest lebte er noch. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete Angela, daß der Polizist sich auf die Füße hochrappelte.
    Mary war immer noch nicht bereit aufzugeben. Als sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, bückte sie sich nach der Pistole. Wie ein wildes, gieriges Tier durchwühlte sie das Laub. Ihre Entschlossenheit hatte etwas fast Übernatürliches.
    Der Polizist rannte auf sie zu, anstatt erneut auf sie zu schießen.
    »Ich muß es tun«, schrie Mary und fand die Waffe im Dunkeln. Sie hob sie mit der rechten Hand auf, die ihr ganz offensichtlich nicht mehr hundertprozentig gehorchte, und wechselte sie dann in die Linke über. Obwohl der Polizist das nähere und einfachere Ziel gewesen wäre, kniete sie sich hin und richtete die Waffe auf Jim.
    Aber weiter kam sie nicht mehr. Der Polizist bewegte sich wie eine Katze. Mit seinem Revolver versetzte er Mary einen Schlag auf den Kopf – einen harten Schlag.
    Angela vernahm ein Geräusch, das klang, als ob Knochen knackten. Mary ließ die Pistole fallen und starrte einen Moment lang verwirrt zu dem Polizisten hoch. Aber möglicherweise hatte sie da schon das Bewußtsein verloren, denn gleich darauf sackte sie vornüber zu Boden.
    Der Polizist sah zu Angela und Jim hinüber.
    »Bist du in Ordnung?« fragte er Jim.
    »Mein Bein nicht«, jammerte Jim.
    Der Mann schob seinen Revolver in ein Holster unter seinem Mantel, kniete dann neben Mary nieder und untersuchte ihren Kopf. »Das wird schon wieder in Ordnung kommen«, sagte er – und meinte damit wahrscheinlich sowohl Mary als auch Jim. »Es ist vorbei.«
    In Angelas Ohren klangen die Worte jedoch alles andere als überzeugend. Tief in ihr war ein Gefühl unendlichen Grauens. Und in ihrem Kopf schien sie eine Stimme laut und erbarmungslos zu vernehmen:
    »Meine Liebe, es hat alles erst angefangen.«

 
    2. Kapitel
     
     
     
    Kurz vor zehn am darauffolgenden Tag erreichte Angela die Polizeistation. Lieutenant Nguyen – der Beamte in Zivil, der ihr in der vergangenen Nacht das Leben gerettet hatte – hatte sie eine Stunde zuvor angerufen und sie gebeten vorbeizukommen. Die Polizeistation war in der Nachbarstadt Balton, das fünfmal größer war als Point, aber lange nicht so schön. Von ihrem Wagen aus sah Angela die Traube von Reportern auf den Stufen vor dem Polizeigebäude. Zwei Teenager auf einer High-School-Party niedergemetzelt – die Sache erregte Aufsehen in ganz Amerika. Nguyen hatte sie vorgewarnt und ihr gesagt, sie solle um das Gebäude herumfahren und den Hintereingang benutzen. Er hatte ihr eingeschärft, unter keinen Umständen mit den Medien zu sprechen, bevor sie nicht mit ihm geredet hatte. Ihr war das nur recht. Sie verspürte nicht den geringsten Wunsch, über das nachzudenken, was passiert war, geschweige denn, ihre Geschichte an eins der Magazine zu verkaufen.
    Ein uniformierter Polizist öffnete ihr die Hintertür, und eine Minute später saß sie in Nguyens Büro. Sie mußte eine Weile warten und nutzte diese Zeit dazu, die Bilder an den Wänden zu betrachten. Sie brauchte nicht lange, um sicher zu sein, daß der Beamte als Captain in Südkorea im Einsatz gewesen war. Den Fotos nach waren ihm gleich mehrere Male Auszeichnungen verliehen worden. Das überraschte sie nicht. Sie hatte nur kurz mit ihm zu tun gehabt, doch sie schätzte ihn als fähig und tapfer ein. Sie war aufgestanden, um sich die Bilder aus der Nähe anzusehen, als er hinter ihr ins Zimmer trat.
    »Meine Frau hat mich genötigt, sie aufzuhängen«, sagte er.
    Angela wandte sich um. Nguyen war ein kleiner, drahtiger Mann, mit einem Schopf dichter schwarzer Haare, großen, sanften Augen und einem unzweifelhaft durchtrainierten Körper. Er hatte sich vergangene Nacht
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