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Lebkuchen und Bittermandel

Lebkuchen und Bittermandel

Titel: Lebkuchen und Bittermandel
Autoren: Jan Beinßen
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einziges Adventstreffen versäumt hatte.

3
    Der Platz an der Frischfischtheke verlor an Reiz, sobald der letzte Gast eingetroffen war. Paul beeilte sich, das Silbertablett mit einigen übrigen Sektkelchen loszuwerden und mischte sich unter die emsig plaudernde Gruppe.
    Nachdem die Übernachtungsgäste ihre Zimmer bezogen hatten und nun wieder im Gastraum eintrudelten, wechselten zumindest die Männer sehr schnell vom Sekt zum Bier, hatte Jan-Patrick doch speziell für diesen Abend sein sonst eher auf Wein abgestimmtes Getränkesortiment um sechs Raritäten aus Kleinstbrauereien der Fränkischen Schweiz ergänzt. Paul prostete sich mit Udo zu, der ihn aus seinem wie stets gebräunten Gesicht zufrieden ansah. Udo, groß, breitschultrig und mit vollem schwarzem Haar gesegnet, wandte sich gleich darauf wieder seiner Begleiterin zu. Wie Paul neidlos eingestehen musste, hatte Udo mit seiner Sonja wirklich das goldene Los gezogen. Die hinreißend hübsche Blondine hatte noch immer die Figur einer 20-Jährigen, und ihre Augen konnten Männerherzen so mühelos schmelzen lassen wie auch schon vor einem Vierteljahrhundert.
    Paul bemerkte, dass er nicht der Einzige war, der Sonja bewundernd betrachtete: Ulrich, der ein Studium abgebrochen und das landwirtschaftliche Anwesen seiner Schwiegereltern im Forchheimer Land übernommen hatte, umklammerte bereits seinen zweiten Bierkrug, während er die katzenhafte Sonja mit Blicken verschlang. Gleich hinter ihm erspähte Paul Katja, die Frau des Professors. Auch sie interessierte sich offenkundig für Sonja, wobei ihre Blicke allerdings alles andere als freundlich waren. Die Abscheu über das kokette Auftreten der Jahrgangsschönsten konnte sie nicht verbergen.
    »Na, beinahe wie in alten Zeiten, habe ich recht?« Oberstudienrat a. D. Klugmann hatte sich zu Paul gesellt und musterte die gemischte Truppe der Ehemaligen. »Ein guter Jahrgang«, merkte er an, wobei Paul nicht so recht wusste, ob der alte Lehrer das auf seine früheren Schüler oder aber auf das Gläschen Frankenwein münzte, das er in der Hand hielt.
    Ein köstlicher Duft, der aus der kleinen Küche strömte, zog Pauls Aufmerksamkeit auf sich und ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.

4
    »Liebe Gäste«, unterbrach Jan-Patrick die eifrigen Gespräche und das Gläserklirren. Er war auf einen Stuhl gestiegen, um das Abendprogramm zu verkünden: »Wie immer steht Ihnen mein Haus an diesem besonderen Abend exklusiv und ausschließlich zur Verfügung. Wie immer ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen, und wie immer gibt es ein Open End. Tun Sie sich also keinen Zwang an und feiern Sie! Lassen Sie die alten Zeiten aufleben! Und genießen Sie die Köstlichkeiten meines Büfetts. Vor allem möchte ich Ihnen die hauseigenen Lebkuchen ans Herz legen. Eine außergewöhnliche Eigenkreation mit einer Extraportion Mandeln.« Freudiger Beifall brandete auf, doch der Wirt winkte ab. »Bevor Sie sich dem Schlemmen hingeben, muss ich Sie zunächst in die Pflicht nehmen. Um die Kosten für diesen Abend im Rahmen und die Atmosphäre ein wenig intimer zu halten, habe ich auf den Einsatz von Personal weitgehend verzichtet. Marien und ich sind heute die einzigen Servicekräfte für Sie. Ich darf Sie daher bitten, beim Auftragen des Büfetts behilflich zu sein. Meine Küche steht Ihnen offen. Fühlen Sie sich wie zu Hause!«
    Während die meisten Gäste Jan-Patricks Aufforderung nachkamen und in der Küche verschwanden, schien die Ansprache an Jakob völlig vorbeigegangen zu sein. Er saß in einträchtigem Plausch mit Hilde und Altlehrer Klugmann auf einer der rustikalen Bänke. Paul wollte die drei unterbrechen und sie auf die Vorbereitung des Abendessens hinweisen, doch Jakob war in seinem Redefluss nicht zu bremsen:
    »… das ist die Sensation schlechthin«, sagte er mit vornübergebeugtem Oberkörper. »Ich habe ein ganzes Jahr in dieses Projekt gesteckt, Tag und Nacht habe ich an den Formulierungen gefeilt.«
    »Du bist wirklich davon überzeugt, dass es der große Wurf wird?«, fragte Hilde und schien sich ehrlich über den Enthusiasmus des Schriftstellers zu freuen.
    »Ja, denn diesmal habe ich alles anders gemacht. Ich habe ja schon mehr als genug Flops hinnehmen müssen. Du kannst mir glauben: Es tut einem Autor beinahe schon physisch weh, wenn seine mit Herzblut verfassten Werke verramscht werden, weil sie niemand zum regulären Preis kaufen wollte.«
    »Um was geht es denn in Ihrem neuen Roman?«, wollte Klugmann
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