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Lebenssonden: Roman (German Edition)

Lebenssonden: Roman (German Edition)

Titel: Lebenssonden: Roman (German Edition)
Autoren: Michael McCollum
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in den Halsring eines Raumanzugs geriet. Ihre grünen Augen überflogen die Statusmonitore, während zugleich lange, schlanke Finger über das in die Beschleunigungsliege eingebaute Computerterminal tanzten. Auf der Erde hätte man ihr wohl eine passable Erscheinung attestiert, mit viel Wohlwollen auch noch ein hübsches Äußeres. Doch in der Männerdomäne des Asteroidengürtels galt Brea als eine Schönheit.
    Ihre Kleidung bestand lediglich aus Shorts und einem Bustier. Sie stemmte sich gegen die Sicherheitsgurte und griff nach hinten, um sich an der juckenden Stelle überm Steißbein zu kratzen, wo der schweißtreibende Kunststoff Hautkontakt hatte. Dann fuhr sie mit der Kontrolle der Hauptsubsysteme der Lügenbaron fort und rief die Betriebsdaten für Umwelt-Kontrolle, Brennstoffreserven und Triebwerksgondeln auf. Dabei stellte sie fest, dass das Kohlendioxidniveau im Wohnbereich an der oberen Toleranzgrenze lag, und wies den Bordcomputer an, den Pegel zu reduzieren.
    Die Lügenbaron hatte wie alle Schiffe ihrer Klasse eine modifizierte Hantelform. Die Mannschaftsunterkünfte und Kontrollräume waren in einer zehn Meter durchmessenden Kugel am vorderen Ende eines dreißig Meter langen I-Träger-Auslegers untergebracht. Um den Ausleger waren zylindrische Brennstofftanks gruppiert; sie waren alle gut isoliert, um die Temperatur des flüssigen Wasserstoffs, der die Lügenbaron beflügelte, konstant bei -270 °C zu halten. Im Heck des Schiffs befand sich die Triebwerksgondel, eine Zehnmeter-Halbkugel, die den Massekonverter des Schiffs aufnahm.
    Als Brea die Anzeige für den Status der Triebwerksgondel aufrief, richtete sie den Blick automatisch auf den roten Lichtpunkt und die korrespondierenden Daten, die die »Befindlichkeit« der winzigen I-Masse anzeigten. Die I-Massen-Singularität war eine »Verwandte zweiten Grades« eines Hawking’schen Schwarzen Lochs, die Antwort auf zwei der erstaunlichsten wissenschaftlichen Mysterien des zwanzigsten Jahrhunderts und die primäre Kraftquelle der Lügenbaron .
    Die Singularität hatte eine Masse von zehntausend Kilogramm und einen Durchmesser von zehn hoch minus dreizehn Ångström. Sie wurde durch ein starkes Magnetfeld gebändigt, das die sekundäre Funktion hatte, in Schub-Phasen ionisierten Wasserstoff in die Gezeitenregion der winzigen bodenlosen Grube zu leiten.
    Brea studierte die Statuskurven dreißig Sekunden lang und überzeugte sich davon, dass alle Parameter nominell waren. Der Konverter war eigentlich narrensicher – dennoch sollte man sich keine Nachlässigkeit erlauben, wenn so viele Fundamentalkräfte der Natur in einem so winzigen Paket verschnürt waren.
    Sie löschte die Bildschirmanzeige und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Countdown-Uhr. Noch ein paar Sekunden bis zum Start. Sie ließ sich wieder auf die Liege sinken, strich sich eine Strähne des pechschwarzen Haars aus dem Gesicht und pfiff dissonant, während sie die roten Ziffern gegen 00:00:00 wandern sah. In zehn Minuten ging ihre Wache zu Ende und dann war Bailey an der Reihe, sich auf der Folterbank anzuschnallen; sie würde dann unter die Dusche gehen, von der sie schon seit Stunden geträumt hatte.
    Der Timer summte in ihrem Ohr und signalisierte ihr, dass es Zeit war, die Suche nach dem Asteroiden ALF37416 aufzunehmen: ein unscheinbarer, namenloser Felsbrocken, der – womöglich – die beiden reicher machen würde, als sie es sich in ihren kühnsten Träumen vorzustellen vermocht hätten.
    Die Musik hatte zwischenzeitlich zu »Der Chor der Edelleute« gewechselt, als Brea sie ausschaltete und die Sperre des Steuerknüppels aufhob. Ein Daumendruck auf den Kippschalter für die Düsenregelung und eine Drehung des Steuerknüppels selbst lösten gleich mehrere Vorgänge aus, die in schneller Folge abliefen. Sie lauschte dem leisen Geräusch der feuernden Steuertriebwerksdüsen – der Schall pflanzte sich durchs Metall der Hülle in den Steuerstand fort. Die Sterne wanderten von links vorn nach rechts hinten durch die Steuerkuppel, und Brea wurde durch eine Beschleunigung von ein paar Hundertstel g nach vorn gezogen.
    Baileys Konterfei mit dem wirren Haarschopf und dem von Sorgenfalten zerfurchten Gesicht erschien auf dem Interkom vor ihr. Wie gewöhnlich war er in der Kombüse. Er war bei weitem der bessere Koch. »Was gibt’s, Brea?«
    Ihre grünen Augen richteten sich kurz auf sein Bild und dann wieder auf den künstlichen Horizont, wo sie erkennen konnte, wie die imaginäre Ebene
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