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Lebenslänglich

Lebenslänglich

Titel: Lebenslänglich
Autoren: Liza Marklund
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sie atemlos. «Magst du was Süßes?»
    Das Kind sah sie an, in den Augen begann es zu glimmen. «Ich habe eine ganze Tüte», sagte sie. «Die sind superlecker. Hier!»
    Sie stopfte ihm ein hellgrünes Stück Schaumspeck in den Mund. Der Junge kaute und setzte sich auf.
    «Komm mit, dann kriegst du noch mehr», sagte sie und streckte die Arme nach ihm aus.
    Und bevor sie noch einen Gedanken fassen konnte, schmiegte sich der Junge in ihre Arme. Sie zog die graue Textilplane zu, schloss die Heckklappe wieder und lief zum Brunnen, ließ ihre Tasche unbeachtet liegen und steuerte auf den Wald zu.
    Sie ging im selben Moment hinter der kleinen Tanne in Deckung, als das Licht im Haus erlosch und die Eingangstür aufging. Sie setzte den Jungen ab, zog ihre Steppjacke aus und hüllte ihn darin ein.
    «Hier», flüsterte sie und gab ihm noch ein Schaumspeckauto. «Die haben verschiedene Farben. Ich mag rosa am liebsten.»
    Der Junge stopfte sich die Süßigkeiten in den Mund, dann kuschelte er sich an Annika, eingemummelt in die Steppjacke.
    Yvonne Nordin war wieder da. Sie stellte eine Handtasche auf den Beifahrersitz und ging dann zur Heckklappe.
    Nicht aufmachen! Nicht aufmachen! Fahr einfach los!
    Annika versuchte, ihre Gedanken durch die Dunkelheit zu schicken, aber es funktionierte nicht. Yvonne Nordin machte die Klappe auf, schob die Abdeckung zurück und sah, dass das Kind weg war.
    Ihre Bewegungen waren plötzlich blitzschnell.
    Sie stürzte zum Haus, schloss die Tür auf, machte Licht und verschwand nach drinnen.
    Annika hob den Jungen auf den Arm und rannte in die andere Richtung, tiefer hinein in Wald, Sturm und Schatten. Es war jetzt vollkommen finster, sie sah die Hand vor Augen nicht, stolperte und wäre fast gefallen. Über ihr rauschten und schwankten die Baumkronen, die Kälte tat weh.
    Bestimmt holte Yvonne Nordin eine Waffe.
Ich muss weg, so weit weg wie möglich, am besten direkt zum Auto.
    Mit dem Jungen auf dem Arm folgte sie dem kleinen Bach hinunter zum Wendeplatz.
    Das Moos war weich und glitschig, sie rutschte immer wieder aus und fiel hin.
    Ist das hier richtig? Laufe ich in die richtige Richtung?
    Sie rappelte sich auf, den Jungen an sich gedrückt, eine Hand hielt seinen Körper, die andere seinen blonden Kopf.
    Der erste Schuss schlug in einen Baumstamm mehrere Meter rechts von ihr.
    Keine Panik jetzt, keine Panik. Lauf, lauf
    Der zweite war schon näher, gleich links.
    Das ist eine Elchbüchse oder ein anderes kräftiges Kugelgewehr. Schwer, damit zu zielen.
    Die dritte Kugel pfiff direkt an ihrem Kopf vorbei.
    Sie hat ein Nachtsichtgerät! Nochmal schießt sie nicht daneben. Ich muss aus der Schusslinie.
    Sie duckte sich hinter einen Baumstumpf, drückte den Jungen fest an sich.
    «Ich weiß, dass Sie da sind», schrie die Frau durch die Dunkelheit. Der Wind trug ihre Worte herüber. «Es ist zwecklos. Ergeben Sie sich freiweillig, dann lasse ich das Kind am Leben.»
    Wo zum Teufel bleibt die Polizei?
    «Hast du noch mehr Speckautos?»
    Der Junge sah mit blanken Augen zu ihr auf.
    «Na klar», flüsterte sie und zog ein Auto aus der Jacken tasche. Ihre Hände zitterten dermaßen, dass sie es kaum halten konnte.
    Der vierte Schuss schlug in den Baumstumpf vor ihnen. Holzstückchen peitschten in ihr Gesicht; sie spürte, wie ein Splitter sich in ihre Wange bohrte, und musste sich auf die Zunge beißen, um nicht aufzuschreien.
    Der Junge begann zu weinen.
    «Ich hab Angst», schluchzte er. «Die Tante ist böse.»
    «Schhh, ich weiß», flüsterte Annika. Im nächsten Moment tauchten aufgeblendete Autoscheinwerfer den Wald in grelles Licht. Ein Streifenwagen fuhr langsam den Weg zu Yvonne Nordins Hütte hinauf. Ein weiterer Schuss knallte, Glas splitterte, und Annika hörte einen Menschen vor Schmerzen aufschreien. Der Wagen hielt und fuhr plötzlich rückwärts, dann verließ er den Wald ebenso schnell, wie er aufgetaucht war.
    Kommt zurück, lasst uns nicht allein, sie knallt uns ab!
    Eine Minute verstrich. Sie saß ganz still, das Kind im Arm, regungslos. Nichts rührte sich, kein Laut war zu hören. Eine weitere Minute verging, dann noch eine.
    In dieser unbequemen Stellung schliefen ihr die Beine ein, sie versuchte, die Füße zu bewegen, um sie aufzuwecken.
    «Komm», flüsterte sie. «Ich habe ein Auto, da gehen wir jetzt hin.»
    Der Junge nickte und klammerte sich an ihrem Hals fest.
    Sie erhob sich vorsichtig und schaute zum Haus hinüber. Da hörte sie, wie ein Motor angelassen wurde,
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