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Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy

Titel: Leben und Meinungen des Herren Tristram Shandy
Autoren: Laurence Sterne
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Postillon. – Noch vor drei Jahren beschien die Sonne kein schöneres, klügeres und liebenswürdigeres Mädchen; und Maria verdiente auch wirklich ein besseres Schicksal, als daß ihr durch die Intriguen des Pfarrers, der ihr Aufgebot verkünden sollte, die Ehe verboten wurde.
    Er wollte weiter erzählen, als Maria, die eine kleine Pause gemacht hatte, die Pfeife wieder an den Mund brachte und die Melodie von neuem begann; – es waren dieselben Töne aber noch zehn Mal süßer. – Es ist der Abendgottesdienst der h. Jungfrau, sagte der junge Mann; – Niemand weiß, wer ihn ihr gelehrt hat oder wie sie zu ihrer Pfeife kam: wir glauben, daß ihr der Himmel zu beidem verholfen hat; denn seit ihr Geist zerrüttet ist, scheint dies ihr einziger Trost zu sein; sie hat seitdem die Pfeife nicht aus der Hand gelegt, spielt aber Tag und Nacht nur diese geistliche Melodie.
    Der Postillon erzählte dies mit so viel Takt und natürlicher Beredsamkeit, daß ich nicht umhin konnte, etwas in seinem Gesicht zu entdecken, das über seinen Stand hinausging. Ich würde ihn deshalb über seine eigene Geschichte ausgeholt haben, wenn nicht die arme Maria meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätte.
    Wir waren inzwischen der Bank nahe gekommen, wo Maria saß; sie hatte eine dünne weiße Jacke an, ihr Haar steckte bis auf zwei Zöpfe in einem seidenen Netze, in das auf der einen Seite ein Paar Olivenblätter etwas phantastisch eingeschoben waren: – sie war schön, und wenn ich je die ganze Kraft eines aufrichtigen Herzeleids empfunden habe, so war es in dem Augenblick da ich sie sah.
    Gott stehe dem armen Mädchen bei, sagte der Postillon; man hat in den verschiedenen Kirchspielen und Klöstern hier herum über hundert Messen für sie gelesen, – aber ohne Erfolg. Da sie in kurzen Zwischenräumen vernünftig ist, so haben wir immer noch die Hoffnung, daß die heilige Jungfrau sie endlich wieder herstellen werde; ihre Eltern aber, die sie am besten kennen, haben alle Hoffnung aufgegeben und glauben, daß sie ihren Verstand für immer eingebüßt habe.
    Während der Postillon sprach, machte Maria eine so melancholische, zärtliche und klagende Cadenz, daß ich aus der Chaise sprang, um ihr zu helfen; und ehe ich von meiner Aufregung zu mir selbst kam, saß ich zwischen ihr und ihrer Ziege.
    Maria sah mich eine Weile gedankenvoll an und dann wieder ihre Ziege, – und dann wieder mich, – und abermals ihre Ziege – und so fort.
    Nun, Maria, sagte ich sanft, findest du einige Aehnlichkeit?
    Ich bitte den arglosen Leser mir zu glauben, wenn ich ihn versichere, daß ich diese Frage nur in der demüthigsten Ueberzeugung davon that, welch' eine Bestie eigentlich der Mensch ist; und daß ich in der ehrwürdigen Gegenwart des Unglücks mir keinen unzeitigen Scherz hätte erlauben mögen, und wenn ich dadurch auf all den Witz ein Anrecht bekommen hätte, den Rabelais um sich streute; – und doch gestehe ich, das Herz schlug mir und ich empfand solches Wehe, nur wenn ich das dachte, daß ich mir schwur all den Rest meiner Tage der Weisheit zu huldigen und nur Ernsthaftes von mir zu geben; – nie aber, – nie wieder zu versuchen, so lange ich lebte, mit einem Mann, Weib oder Kind zu scherzen.
    Was das Schreiben von Unsinn betrifft, so glaube ich, machte ich einen Vorbehalt, – doch darüber mag die Welt entscheiden.
    Leb wohl, Maria! – leb wohl, armes unglückliches Mädchen! – einst, aber nicht jetzt, höre ich vielleicht deinen Kummer von deinen eigenen Lippen; – doch ich täuschte mich; denn in diesem Augenblick ergriff sie ihre Pfeife und erzählte mir damit eine solche Schmerzensgeschichte, daß ich aufstand und mit schwankenden Schritten langsam nach meinem Wagen ging.
    Welch' ein treffliches Wirthshaus in Moulins!

304. Kapitel.
    Wenn wir an den Schluß dieses Kapitels gekommen sind (aber nicht früher), müssen wir zu den zwei leergelassenen Kapiteln zurückkehren; wegen deren meine Ehre seit einer halben Stunde blutet. Ich stille dies Blut, indem ich einen meiner gelben Pantoffel ausziehe und ihn mit aller Kraft nach der entgegengesetzten Wand meines Zimmers schleudere, mit folgender Erklärung an dessen Absatz: – daß, welche Ähnlichkeit dies Kapitel auch mit der Hälfte der Kapitel haben mag, die in der Welt schon geschrieben wurden, oder so viel ich weiß, eben jetzt geschrieben werden, – es sich gleichwol so zufällig gestaltete, wie der Schaum von Zeuxis Roß. Ueberdies betrachte ich ein Kapitel, das
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