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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Autoren: Barbara Beuys
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gingen am Vormittag und am Nachmittag für je einen langen Gottesdienst in die Kirchen, öffentliche Vergnügungen waren verboten. Doch einen Ort gab es, wo es sonntags gesellig, lebhaft und lustig zuging. Der Markt im alten Judenviertel rund um die Jodenhouttuinen und in den umliegenden engen Straßen Richtung Uilenburg und Oudeschans war ein Amsterdamer Markenzeichen. Ein Trödelmarkt, auf dem alles angeboten wurde, von alten und neuen Fahrrädern, Uhren und Porzellan, einzelnen Schuhen bis zu rostigen Nägeln.
    Die Händler umgarnten ihr Publikum mit komödiantischen Einlagen; Quacksalber priesen mit lauter Stimme ihre Wundermittel an. Straßenbahn-Linie 8, die seit 1905 durch die Jodenbreestraat fuhr, hängte einen extra Beiwagen an, denn die nichtjüdischen Amsterdamer drängten ins Judenviertel, um der Sonntagslangeweile zu entkommen. Es waren vor allem die Männer, so wurde gewitzelt, die sonntags auf dem Judenmarkt den ausgedienten Plunder kauften, den ihre Frauen die Woche über an jüdische Straßenhändler verscherbelt hatten.
    Am Montagmorgen war der Markt am Amstelveld, Ecke Reguliers- und Prinsengracht, ein beliebtes Ziel. Ein bronzenes Standbild erinnert dort an »Professor Kokadorus«, der eigentlich Meijer Linnewiel hieß und seit seinem vierzehnten Geburtstag 1881 auf dem Amstelveld stand. Kokadorus beherrschte die Kunst, alles, wirklich alles zu verkaufen – mit Geschichten, Witzen, Sketchen und angeblichen Informationen aus höchsten Kreisen: »Als ich letzte Woche zum Tee bei der Königin war …« 1906 feierte der stadtbekannte fromme Jude sein Silbernes Jubiläum als Marktverkäufer. Bis zu seinem Tod 1934 stand er jeden Montag am Amstelveld auf einer Kiste und erzählte seine unerschöpflichen Geschichten.
    Wem das Markttreiben zu laut und unruhig war, der fand im Judenviertel nur wenige Minuten entfernt einen Ort, wo auch Geschäfte gemacht wurden, aber der Lebenstakt ruhiger schlug: die Jodenbreestraat. Hier standen solide vierstöckige Häuser mit schönen Wohnungen und Geschäften mit breiten Auslagen, soliden Waren und Sonnenjalousien. Hier konnte man seinen gesamten Hausrat erstehen, feine Kleidung und kostbaren Schmuck. Längs der Bordsteinkante am Bürgersteig standen hölzerne Handkarren, auf denen Gemüse und Obst kunstvoll aufgeschichtet waren. Vom westlichen Ende der Jodenbreestraat grüßt der schlanke schmucke Turm der Zuiderkerk, und im Osten der breite Bau der portugiesischen Synagoge.
    In der Jodenbreestraat war für Armut kein Platz. Doch mit wenigen Schritten in die umliegenden engen Gassen war man unübersehbar im Elend, es stank aus den Grachten, die übervoll waren mit Abfällen. Die Kinder hier lebten fast nur auf der Straße, im Durchschnitt kamen zehn Personen auf einen Raum der baufälligen Häuser. Auch die Kellerräume waren mit Menschen überfüllt, jeder Gang über die morschen Treppen im Innern war gefährlich. Es gab kein fließendes Wasser, keine Toiletten, geschweige denn eine Heizung. Doch was die städtische Verwaltung im Einklang mit der Gesellschaft lange als gottgegeben hingenommen hatte, wurde immer stärker als Skandal empfunden.
    Ein Wohnungsgesetz eröffnete 1901 erstmals die Möglichkeit, verfallende Häuser zu enteignen. Wohnungsbaugenossenschaften wurden gegründet, um solide Wohnungen zu bauen, deren Mieten für Arbeiter, Handwerker und kleine Beamte erschwinglich waren. 1903 fasste der Gemeinderat von Amsterdam zwei Beschlüsse: Die Wohnungen auf Uilenburg sollen abgerissen, das Viertel saniert werden. Für die Bewohner von Uilenburg wird im Südosten der Stadt, unterhalb vom Bahnhof Muiderpoort und jenseits der Bahnlinie, ein komplett neuer Stadtteil gebaut – Transvaalbuurt, das Transvaalviertel.
    Alles braucht seine Zeit. 1910 beginnen in Uilenburg die Enteignungsprozesse; 1916 kann mit dem Abriss der Häuser und teilweiser Sanierung begonnen werden. Zeitlich parallel entstanden im Transvaalviertel, längs der Linnaeusstraat und in der neu angelegten Pretoriusstraat, die ersten Wohnblocks durch private Initiative. Dann engagieren sich die jüdische Genossenschaft »Handwerkerfreundeskreis« und der sozialdemokratische »Allgemeine Wohnungsbauverein« großflächig zwischen Tugelaweg und Transvaalkade.
    Als Monne de Miranda 1911 für die Sozialdemokraten in den Gemeinderat von Amsterdam gewählt wird, zieht der ehemalige Diamantschleifer mit seiner Frau Selly und drei Kindern in die Pretoriusstraat in der Transvaalbuurt; erst in die Nummer
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