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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Autoren: Barbara Beuys
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48, dann in die 71. Die Familie fühlt sich wohl hier, es ist fast das vertraute Milieu wie im Judenviertel in der Innenstadt. 1919 wird Monne de Miranda im Amsterdamer Magistrat zum Beigeordneten für die Lebensmittelversorgung gewählt, kein Grund, aus dem vertrauten Quartier fortzuziehen.

II
    Monne de Miranda und die »Amsterdamer Schule« – Königin Wilhelmina und die Olympischen Spiele – Pastor Kuyper und die »Versäulung« – Dazu Jazz und andere neue Töne
    1919 bis 1929
    Seit zehn Monaten schwiegen in Europa die Waffen. Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, waren die Niederländer neutral geblieben. Seit rund hundert Jahren lebten sie in Frieden, während ringsherum die europäischen Nationen Krieg führten. Das Deutsche Reich, das Belgien überfiel, um Frankreich zu besiegen, hatte diese Neutralität akzeptiert. Aber auch auf der holländischen Insel des Friedens nahm die Lebensmittelknappheit 1919 beängstigende Ausmaße an. Monne de Mirandas Aufgabe als Beigeordneter war es, sie zu beseitigen. Das schaffte er schnell und erfolgreich. Und nach der nächsten Gemeindewahl 1921 war der sechsundvierzigjährige Sozialdemokrat am Ziel seiner politischen Wünsche: De Miranda wurde Amsterdams Beigeordneter für Sozialen Wohnungsbau. Der Neue war entschlossen, die Hauptstadt auf diesem Gebiet zum Modell in Europa zu machen.
    Die Hauptstadt der Niederlande zählte in den zwanziger Jahren rund 680   000 Bewohner, und die moderne Massenkultur, die sich nach dem Großen Krieg in Europa ausbreitet, machte nicht Halt vor Amsterdam. Drei Schlagworte markieren auch an der Amstel den Beginn einer neuen Zeit: Kino, Tanz und Jazzmusik.
    1921, noch herrscht der Stummfilm, setzen die 24 Amsterdamer Kinos rund vier Millionen Karten um. Im Oktober wird in der Reguliersbreestraat, einem Sanierungsgebiet nur Minuten vom Rembrandtplein entfernt, ein neues Kino, ein »Tempel für Kunst und Vergnügen« eingeweiht: »Tuschinski«. Ein Kinopalast, gebaut in orientalischem Jugendstil, zu dem das Kabarett-Theater »La Gaîté« gehört, wo nach dem Film bei feinen Speisen internationale Stars aus Revue und Kabarett auftreten. Besitzer ist Abraham Tuschinski, 1903 aus Polen nach Rotterdam gekommen. Der gelernte jüdische Schneider hatte ein Gespür für die neue Traumwelt auf Zelluloid, und gründete sieben Kinos in Rotterdam. Der Luxuspalast in Amsterdam, außen komplett mit glasierten Kacheln verziert, war sein verwirklichter Traum. Alles musste vom Besten sein, bis hin zum Orchester, das die Stummfilme musikalisch begleitete. Vor dem Hauptfilm, der eine halbe Stunde vor Mitternacht endete, gab es für alle ein buntes Programm von Varieté, Trickfilmen, Nachrichten-Journal, Gesang, Tanzeinlagen. Das Tuschinski wurde ein Riesenerfolg.
    Ein Tanzlehrer hatte 1920 in Amsterdam das erste professionelle niederländische Jazzorchester gegründet – The James Meijer’s Jazzband. Wie ein Virus verbreitete sich der neue Musikgeschmack: Nicht mehr gefühlsselige Operette war gefragt, kein Damenorchester und kein Wiener Walzer, sondern die aufregende Jazzmusik aus den USA . Vom Ragtime konnte das Publikum in den Revue-Theatern, Cafés und den Ballsälen der Hotels nicht genug bekommen. Eine regelrechte Tanzwut erfasste die Amsterdamer, nicht anders als die Menschen in Berlin, und im Rhythmus von Shimmy, Charleston und Foxtrott ging es flott über das Parkett.
    Die Obrigkeit war entsetzt und zog gegen die »moderne Barbarei« mit einem Tanzverbot zu Felde, unterstützt von einer breiten Koalition, die den Untergang der alten Werte fürchtete. Die sozialdemokratische Zeitung Het Volk verdammte die »sexuelle Stimmung« des Jazz, ein »Verdummungsmittel für ermattete Geschäftsleute, die hirnlose Entspannung suchten«. Für Protestanten ging es darum, die christliche Sittsamkeit zu verteidigen, und die Katholiken sahen in den »heidnischen Tänzen« einen Abgrund von Sünde. Vergeblich appellierte das Hotel- und Gaststättengewerbe an den Gemeinderat, das Tanzverbot wenigstens am Wochenende aufzuheben. Der Amsterdamer Bürgermeister, überzeugter Calvinist, pochte auf ein Gesetz von 1815: Alle »öffentlichen Vergnügungen« – und damit auch das Tanzen – waren an Sonn- und Feiertagen verboten.
    1924 endlich machte der Magistrat bei sieben prominenten Tanzlokalen in der Innenstadt eine Ausnahme, darunter das Hotel Krasnapolsky und die »Bonbonnière« im Obergeschoss vom berühmten Mille Colonnes am Rembrandtplein. Dort lud
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