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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Autoren: Barbara Beuys
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geblieben. Im Herbst 1903 stieg der Achtundzwanzigjährige in den Zug nach Paris und organisierte sich dort eine Stelle als Diamantschleifer.
    Eine der ersten Postkarten, die Monne de Miranda nach Hause schrieb, ging an die achtzehnjährige Selly Elion im Amsterdamer Judenviertel. Im April hatten zwei ihrer Brüder, aschkenasische Juden, zwei Schwestern von de Miranda geheiratet. Aus Protest gegen diese Verbindung seiner Töchter war der sefardische Vater der Hochzeit ferngeblieben. Der ersten Karte aus Paris folgte ein reger Briefwechsel. Als Monne de Miranda zum Jahreswechsel für einen kurzen Familien-Besuch nach Amsterdam zurückkehrte, macht er mit Selly Elion einen für damalige Zeiten verwegenen Plan. Kaum ist de Miranda wieder in Paris, schreibt sie ihm Ende Januar aus Amsterdam über ihre Brüder: »Bah, wie mich die Jungen enttäuschen. Wie denken sie doch in dieser Beziehung noch konservativ.« Zusammen mit den Eltern wollen die Brüder ihre Schwester Selly davon abhalten, für ein paar Monate zu Monne nach Paris zu ziehen.
    Doch die junge Frau überwindet alle Widerstände. Samstag, den 28. Februar 1904, steigt Selly Elion um 8 Uhr 15 in Amsterdam in den Zug. Um 17 Uhr 40 kommt sie in Paris an, und dort steht Monne de Miranda am Bahnhof. Selly kann bei seiner Untermieterin einziehen, und Arbeit hat er für die gelernte Näherin auch gefunden. Ein halbes Jahr erleben die beiden Europas kulturelles Zentrum und nutzen ihre freie Zeit bis zum Äußersten: Sie besuchen Oper, Theater, Museen und lesen gemeinsam französische Literatur. De Miranda hatte gleich nach seiner Ankunft begonnen, Französisch zu lernen.
    Im September 1904 sind beide zurück in Amsterdam, endgültig. Monne de Miranda nimmt seine Arbeit als Diamantschleifer und seine Tätigkeit im Vorstand der Gewerkschaft wieder auf. Am 31. Mai 1905 heiraten Monne de Miranda, dreißig Jahre alt, und die zwanzigjährige Selly Elion im Rathaus von Amsterdam. (Wie es üblich ist, behält sie ihren Mädchennamen, Kinder werden nach dem Vater benannt.)
    Amsterdam ist nicht Paris. Aber wenn die frisch Verheirateten am Abend Unterhaltung suchten, hatte die Hauptstadt der Niederlande seit der Wende zum 20. Jahrhundert einiges zu bieten. Vom Judenviertel war es nur ein kurzer Weg über die elegante Blauwbrug in die Amstelstraat, wo Café-chantant Flora, Centraal Theater und Grand Theatre miteinander konkurrierten. An der Ecke zum Rembrandtplein spielten im Nieuwe Karseboom ein Damen- und ein Herrenorchester um die Wette; jeden Abend waren alle Plätze besetzt. Keiner dieser beliebten Vergnügungsorte hat eine Spur in der kleinen Amstelstraat hinterlassen.
    Das Café De Kroon hatte 1898 am Rembrandtplein eröffnet, rechter Hand, wenn man von der Amstelstraat kommt. Heute noch gehört es zu den populären Adressen am Platz. Damals wussten alle, dass der Name De Kroon die achtzehnjährige Wilhelmina aus dem Haus Oranien ehrte, die acht Jahre nach dem Tod ihres Vater, König Wilhelm III ., im September 1898 Königin der Niederlande wurde. Die Hauptstadt huldigte ihr zum Amtsantritt feierlich in der Nieuwe Kerk und schenkte ihr eine goldene Kutsche. 1901 heiratete Königin Wilhelmina einen deutschen Landedelmann, Herzog Heinrich von Mecklenburg-Schwerin. Die königliche Familie, im Palais Huis ten Bosch in Den Haag zuhause, kam drei- bis viermal im Jahr in die Hauptstadt und nahm im Königlichen Schloss am Dam Wohnung. Königin Wilhelmina, eine eigenwillige Persönlichkeit, wird uns all die Jahre begleiten.
    Rechts von De Kroon etablierte sich 1904 das Rembrandttheater. Es bot, was das Publikum besonders schätzte: deutsche Operetten und Berliner Revuen, bevorzugt mit deutschen Künstlern. Von den Originalaufführungen in Berlin wurden die großen Finale kopiert. Als 1904 der Kabarettist Rudolf Nelson in Berlin mit seinem »Ladenmädel« – »Erst kommen die Blusen, die Kleider…« – einen Erfolgsschlager landet, war das Lied wenig später in Amsterdam ein Hit. Im Theater Carré an der Amstel, wo der Zirkus Carré nur im Winter auftrat, hatte man seit 1900 ebenfalls mit Operetten und Revuen Erfolg. Gegen Abend strömten die Gäste ins Hotel Krasnapolsky, denn zum Diner – und anschließend zum Tanz – spielte das »Wiener Damenorchester von Frau Roll« Wiener Walzer und die beliebtesten Stücke der Wiener Operetten.
    Rembrandtplein um 1910: jeden Abend füllen sich hier die Revue-Theater und Cafés
    Am Sonntag war Amsterdam eine ernste Stadt. Die Calvinisten
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