Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Autoren: Barbara Beuys
Vom Netzwerk:
Prinsengracht eindrucksvoll sehen kann.
    Die Calvinisten, auch Reformierte genannt, waren überzeugt, mit ihrer Konfession den einzig wahren Glauben zu besitzen. Doch als Führungselite in Politik und Wirtschaft fühlten sie sich für den sozialen Frieden und den Wohlstand in ihrer Stadt verantwortlich. Das hatte Priorität vor allen Wahrheitsansprüchen. Um beides zu erreichen und bewahren, brauchte man die Arbeit, die Talente und den Einsatz aller Bewohner. Deshalb tolerierte die calvinistische Obrigkeit die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen, auch wenn sie ihnen in der Öffentlichkeit eine unterschiedliche Rangfolge zuwies. Diese Freiheit der Religionsausübung, die auch zuließ, dass der Philosoph Spinoza keiner Glaubensgemeinschaft angehörte, war für das 17. Jahrhundert in Europa eine Ausnahme. Sie fand erst Jahrhunderte später in demokratischen Verfassungen anderer Länder Nachahmer.
    In Amsterdam – wie in den Niederlanden – hatte die Reformierte Kirche das Monopol auf die öffentliche Darstellung des christlichen Glaubens, ohne deshalb Staatskirche zu sein. Staatliche Festakte, städtische Feiern oder die religiöse Betreuung der Soldaten: Alles geschah ausschließlich im Beisein und mit den Gebeten calvinistischer Pastoren, die aber weiterhin allein ihrer Gemeinde verpflichtet waren. Ämter in Staat und Gesellschaft konnten nur Bürger reformierten Glaubens übernehmen.
    Am anderen Ende der Bewertungsskala rangierten die Katholiken. Der alte Glaube wurde auch nach der Unabhängigkeit in Amsterdam geduldet, nur durfte er nicht im Stadtbild auftauchen. Statt in prächtigen Kirchen mussten die Katholiken sich unauffällig in Hinterhäusern und unter den Dächern der Stadt treffen, um ihre Gottesdienste zu feiern.
    So verhasst ihnen der Katholizismus war, so groß war die Hochachtung der Calvinisten gegenüber dem Judentum. Die reformierte Theologie hat im Alten Testament, der hebräischen Bibel, tiefe Wurzeln geschlagen und fühlt sich dem auserwählten Volk der Juden eng verbunden. Der Geschäftssinn der Amsterdamer und ihre geistig-religiöse Sympathie kamen zusammen, als sie den jüdischen Einwanderern garantierten, dass sie an der Amstel sicher leben und ihre Religion ohne Einschränkungen praktizieren, Betschulen, Altenheime, Kranken- und Waisenhäuser betreiben konnten.
    Als die jüdischen Einwanderer aus Osteuropa, die Aschkenasen, kamen, hatte die sefardische Elite ihre anfänglichen Häuser auf Vlooienburg schon wieder verlassen. Vlooienburg war eine quadratische künstliche Insel an der Binnen Amstel, von der Stadt eigens für die kapitalträchtigen Portugiesen angelegt. Wer heute vom Waterlooplein kommend das moderne Rathaus/Stadhuis samt angrenzender Oper und Balletttheater – »Stopera« nennen die Amsterdamer den riesigen Komplex – umrundet, befindet sich auf Vlooienburger Grund.
    Gegenüber auf den Inseln Uilenburg, Valkenburg und Rapenburg hatten sich Werften und Schiffsindustrien angesiedelt. Als die Betriebe von dort ins östliche Hafengebiet umsiedelten, wurde Vlooienburg das Zentrum der aschkenasischen Juden in Amsterdam. Bald bewohnten sie auch die verlassenen Inseln. Wenn vom alten ursprünglichen Judenviertel Amsterdams – »Jodenhoek« – die Rede ist, dann ist dieser innerstädtische Bereich gemeint, den die Jodenbreestraat durchzieht.
    Die jüdisch-portugiesischen Kaufleute und Financiers hatten Vlooienburg verlassen, um sich dort niederzulassen, wo ab dem zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts die reichen Amsterdamer zuhause waren: an den drei frisch ausgehobenen Hauptgrachten zwischen Brouwersgracht und Leidsestraat. Vor allem an der Herengracht stehen noch die prächtigen Häuser der Sefarden. In den Zimmerfluchten hingen damals die Gemälde der geliebten holländischen Meister, hinter dem Haus lagen exquisite Gärten. Die literarischen Soireen der Amsterdamer Sefarden, der Schmuck ihrer Frauen und die opulente Bewirtung bei ihren Hauskonzerten waren Stadtgespräch.
    Ob Sefarden oder Aschkenasen, ob arm oder reich: Die Juden feierten am Freitagabend nach Sonnenuntergang den Schabbat-Beginn mit einer besonderen Mahlzeit und gingen an den hohen Festtagen unbehelligt in ihre Synagogen. Es gab keinen Druck, sich wegen ihres Glaubens gegenüber den Christen zu rechtfertigen, niemand versuchte sie zu bekehren. Und so blieb es über die Jahrhunderte, Amsterdam war für Juden ein sicherer Hafen. Sie konnten nicht jeden Beruf ergreifen, es gab Diskriminierungen im Kleinen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher