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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)
Autoren: Barbara Beuys
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Tyrannen zogen. Der erfolgreiche Kaufmann Emanuel Rodrigues Vega kam 1597 aus Portugal und erhielt für acht Gulden das Amsterdamer Bürgerrecht. Er kam als Neuer Christ, wurde als erster Jude an der Amstel heimisch und wie hunderte weiterer Glaubensgenossen auf der Flucht vor der Inquisition nicht enttäuscht.
    Kaum zehn Jahre nach seiner Ankunft engagierte Vega sich unter dem Namen Jakob Tirade in der ersten jüdischen Gemeinde Amsterdams. Sie zählte inzwischen über 400 Mitglieder, portugiesisch-spanische Einwanderer, die sich in Amsterdam wieder zum Glauben ihrer Vorfahren bekannten.
    1616 – Der Magistrat von Amsterdam erkennt die Gemeinde portugiesischer Juden als autonome »Jüdische Nation« an, die ihre inneren Angelegenheiten selber regelt. Außerhalb der Landesgrenzen wird die Stadt sie als »Amsterdamer Bürger« schützen. Juden können Fernhandel, Kleinhandel und Druckereien betreiben, freie Berufe wählen und in jedem Teil Amsterdams wohnen. Es soll kein Getto entstehen, und es wird ausdrücklich erklärt, dass die Juden keine Kennzeichen tragen müssen.
    1642 – Der Prinz von Oranien, der als Statthalter die republikanischen Truppen befehligt, besucht zusammen mit der Königin von England die Synagoge der Sefarden in Amsterdam. Er hört ein flammendes Bekenntnis, das der angesehene Rabbi Menasseh ben Israel für die Gemeinde ablegt: »Wir halten nicht mehr Kastilien und Portugal, sondern Holland für unser Vaterland.« Es ist ein Bündnis auf Gegenseitigkeit, denn natürlich wusste die christliche Obrigkeit, wie sehr Amsterdams goldene Epoche von den Kapitalströmen und den internationalen Geschäftsbeziehungen der neuen Bürger profitierte. Gleichsam nebenbei machten Grandezza und das selbstbewusste öffentliche Auftreten der sefardischen Männer und Frauen die Hafenstadt zu einer ersten Adresse für Kultur und Lebensart in Europa.
    August 1675: festliche Einweihung der portugiesischen Synagoge durch Juden und Christen
    1675 – Anfang August ziehen in langer Reihe Musikanten, Sänger, Rabbis und die führenden Männer der sefardischen Gemeinde, nach neuester Mode gekleidet, und in nüchternem Schwarz die hohen Repräsentanten der christlichen Amsterdamer Gesellschaft zur Einweihungsfeier in die neue portugiesische Synagoge, die »esnoga«. Bis heute beherrscht der imposante strenge Backsteinbau den Platz zwischen Mr. Visser- und Jonas Daniel Meijerplein. Die Synagoge mitten in Amsterdam demonstrierte: Die Juden waren ein Teil der bürgerlich-städtischen Gesellschaft, während sie in anderen Ländern Europas diskriminiert, verfolgt und ermordet wurden.
    Zur Zeit der Synagogeneinweihung lebten in Amsterdam ungefähr 3500 Sefarden, aber sie waren nicht mehr die einzigen Juden. Ab 1630 hatten sich rund 5000 Glaubensgenossen aus Deutschland und Osteuropa vor Pogromen und bitterer Armut nach Amsterdam geflüchtet. »Hochdeutsche Juden« oder Aschkenasen nannten sich die neuen Zuwanderer, denn »Ashkenaz« war die jüdische Bezeichnung für alles Land nördlich der Alpen. Sefarden wie Aschkenasen hatten getrennte Gemeinden und Gebetshäuser, getrennte Bäcker und Metzger und eigene Friedhöfe.
    Im Gegensatz zu den portugiesischen Juden suchten die Aschkenasen keinen Platz in der christlichen Amsterdamer Gesellschaft. Sie trugen weiterhin ihre altmodische schwarze Tracht und sprachen Jiddisch. Sie lebten vom Straßenhandel und Abfallsammeln, von Gelegenheitsarbeiten und Botendiensten im Hafen und auf den Werften. Viele waren auf milde Gaben angewiesen. Doch sie hatten schon 1671 – noch vor der sefardischen Synagoge – direkt gegenüber am anderen Ufer der Gracht ihre große Synagoge, die »Grote Schul«, errichten lassen. (Heute ist sie ein Teil des Jüdischen Museums.)
    Der christliche Magistrat gewährte den Aschkenasen die gleichen Rechte. Es störte ihn nicht, welche Kleider die jüdischen Bewohner trugen, welche Sprache sie sprachen. Amsterdam lebte und profitierte davon, die unterschiedlichen Lebensweisen und Konfessionen seiner Bewohner zu tolerieren – wie die gesamte junge Republik der Niederlande.
    Die Führungsschicht im Kampf gegen das katholische Spanien hing der Theologie des Johannes Calvin an. Der Genfer Reformator hatte sich wesentlich radikaler als Martin Luther von der römisch-katholischen Kirche abgewandt. Schmucklos und kahl sind die Kirchen der Reformierten, und im Zentrum befindet sich der »Predigtstuhl«, die mächtige Kanzel, wie man es in der Westerkerk an der
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