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Leben macht Sinn

Leben macht Sinn

Titel: Leben macht Sinn
Autoren: Irmtraud Tarr
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Orientierung auf unseren Wegen. Es fehlt der Zusammenhang. Ein Leben ohne Sinn wäre ein bloßes Dahinleben.
    Der berühmte Psychotherapeut und Begründer der Logotherapie, Viktor E. Frankl, sieht die epidemisch anwachsende Dreifaltigkeit aus Depression, Aggression und Sucht als Ausdruck eines »fundamentalen Sinnlosigkeitsgefühls«. Trotz der sich ausbreitenden Sinnkrisen fällt es Menschen dennoch zunehmend schwer, von Sinn auch nur zu sprechen, geschweige denn, sich zur Sinnsuche zu bekennen. Es ist heute offenbar leichter, über Gewalt und intime Details zu sprechen als über Sinnfragen, betont Heiko Ernst in »Psychologie heute«. Woher kommt diese Scheu? Ich nehme an, dass sie damit zusammenhängt, dass wir nur ungern zugeben, dass wir Suchende und Fragende sind. Oder gar in einem Sinn-Vakuum stecken. Vielleicht erinnern wir uns auch nicht gern selbstkritisch an manche unserer sinnverheißenden Wege, die sich trotz anfänglicher Begeisterung als Sackgassen herausstellten. Eine Soziologin erinnert sich: »Ich kann mich heute nur amüsieren über meine Heilssehnsüchte. An was habe ich nicht alles geglaubt? Erst waren es die Bücher von Castaneda, dann Sai Baba, dann das ›Familienstellen‹ von Hellinger. Immer war ich wie berauscht und dachte, das ist jetzt endlich der richtige Weg. Bis dann die große Nüchternheit einkehrte und ich merkte – eigentlich hat sich nicht viel geändert.«

Unterwegs sein
    Bei meinen eigenen Gesprächen fiel mir auf, wie meine Gesprächspartner entweder in verlegenes Lachen ausbrachen, oder angestrengt nach phantasievollen Antworten auf meine Frage suchten, was ihr Leben sinnvoll macht. »Ich bin das Auge, durch das Gott scheint«, »Ich bin hier wegen meiner Taten in früheren Leben.« Es sind große Antworten. Als wären gute Freunde, Kinder erziehen, Briefe schreiben, lesen, wandern oder Gartenarbeit kaum der Rede wert. Hinter diesen großen Antworten wird auch eine Angst sichtbar, die eigene Ratlosigkeit zu offenbaren. Aber nicht nur Angst, auch Abwehr wird spürbar, wenn Antworten die Frage ins Lächerliche oder Ironische zu ziehen suchen: »Sinn ist, wenn man trotzdem lacht«, »Ich gehöre zur ›Generation sinnlos‹«, »Ich beneide die Leute, die glauben können. Ich hätte auch gern so etwas, aber ich weiß, dass es falsch ist«, »Alles menschliche Krücken«, »Lieber ohne Sinn, als an irgendeinen Schwachsinn glauben.« Auch in diesen Antworten liegt die Ahnung, dass eine Frage weder durch Schweigen noch durch Distanzierung oder durch Anstrengung totzukriegen ist. Eigentlich könnte man jedochunbefangen darüber reden. Doch wir betreten hier eine intime Zone, in der jeder auch allein bleibt.
    Dennoch ist die Sinnfrage eine notwendige Frage. Nicht nur in schlechten Zeiten, auch in guten Tagen. Eine Frage, die heute besonders brisant ist, weil so viele orientierungslos geworden sind. Was früher Ausnahmezustand war, ist heute fast Dauerbrenner. Von allen Fragen berührt die Sinnfrage die Menschen am meisten, weil sie ständig in Entscheidungen, Veränderungen und neue Beziehungen verwickelt sind. »Im Moment habe ich mal gerade drei Baustellen – Umzug, Geldnotstand, Dreiecksbeziehung. Wie bitte soll man da noch zu seiner Mitte finden?« – so die Aussage einer Frau, die in einer Werbeagentur arbeitet. Nicht nur die ständig neuen Lebensbaustellen, sondern dass sie auf sich selbst gestellt sind, macht so viele ratlos und rastlos. Deswegen fällt es Menschen auch nicht leicht, darüber zu sprechen. Darüber sprechen zu können, würde ja voraussetzen, sich auszukennen – orientiert zu sein.
    Als Psychotherapeutin erfahre ich tagtäglich in meiner Praxis, wie sich dieses Thema wie ein roter Faden durch die meisten Leben zieht. Für meine Tätigkeit passt die Metapher: Psychotherapie ist begleitete »Weg-Erfahrung«. Das Bild vom Weg habe ich sehr bewusst gewählt. Meist wird Therapie ja dann aufgesucht, wenn Orientierung und Wege abhanden gekommen sind, wenn Erfahrungen nicht mehr verarbeitet werden können, oder wenn man stecken geblieben oder in einer Sackgasse gelandet ist. Ob innerhalb oder außerhalb der therapeutischen Werkstatt: Fragen des Weges, der Orientierung oder des Orientierungsverlusts berühren immer auch die Sinnfrage.
    Betrachten wir unser Leben als Reise. Unsere Reise ist das Leben. Schritt für Schritt durchreisen wir unsere Lebensstrecke. Wir wissen nicht, wie lang sie sein wird; wirwissen nur, dass sie eines Tages enden wird. Wir gehen einen
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