Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leben macht Sinn

Leben macht Sinn

Titel: Leben macht Sinn
Autoren: Irmtraud Tarr
Vom Netzwerk:
die Bedeutung von »Sinn«. Man hört es an ihrer Wortwahl. Wenn jemand sagt, eine Tätigkeit solle etwas »bringen«. Es solle etwas dabei »herauskommen« oder »herausspringen«. Das Joggen soll der Fitness dienen, das Essen der Gesundheit, die Einladungen dem »networking«, die Ferien besserer Effizienz im Arbeitsprozess. Was hier gemeint ist, sind Zwecke wie beispielsweise »… nützlich sein«, »… die Arbeit erfolgreich bewältigen«, »… den Kindern ein gutes Vorbild sein«, »… ein gesundes Leben führen«, »… die Welt kennen lernen«, »… erfolgreich sein«, »… Misserfolg meiden«. Die Antworten haben alle eines gemeinsam: Es soll ein Nutzen dabei entstehen – der Urlaub organisiert, die Steuern pünktlich bezahlt, Hobbys eingeplant, die Kinder auf gute Schulen geschickt, für das Alter vorgesorgt werden. Aber ist das schon Lebenssinn? Eher wird die Sinnfrage hier zum Nutzen umgemünzt. Jede Tätigkeit wird um einer anderen willen erledigt. Wenn jeder Lebensvollzug um eines anderen willen geschieht, ergibt das Sinn?Sie können das Gemeinte leicht selbst nachvollziehen. Denken Sie an jemanden, der bei Gesprächen immer wieder auf die Uhr schaut, oder der beim Essen daran denkt, wie viele Kalorien er abzuarbeiten hat, oder der beim Joggen nur auf den Pulsmesser schaut. Sie werden sicher zustimmen, dass derjenige sich zwar nutzbringend verhält, aber er erlebt nichts, weil er mit seinen Sinnen nicht in dem ist, was er tut. Und damit bringt er sich um etwas – nämlich um Sinn.
    Manch einer setzt sich vielleicht erstmalig mit dem Sinn seines Weges auseinander, wenn Lebensinhalte und Sicherheiten abhanden kommen. Ich denke dabei an die vielen, die zurzeit ihre Arbeit verlieren und darunter leiden, dass sie den Zweck ihres Daseins nicht mehr angeben können. Es stellt sich Ratlosigkeit ein, was den Umgang mit den anderen und der eigenen Rolle angeht. Plötzlich fragen sie nach dem Sinn ihres Lebens, weil die Zwecke, denen sie sich bis dahin gewidmet haben, nun wegfallen. Der Verlust der Arbeit macht für viele den Blick überhaupt erst frei für Sinnfragen, weil man sich in dieser Situation nicht mehr durch Nützlichkeit und Effizienz rechtfertigen kann (Tiedemann).
    Sinn ist nicht Funktionalismus, der in allem nur das Ergebnis sieht, und stets einem nützlichen praktischen Zweck dient, der das Samenkorn nur durch das Getreide, die Raupe nur durch den Schmetterling rechtfertigt. Sinn ist dem Nutzen weit überlegen. Der Unterschied zwischen Nutzen und Sinn lässt sich sehr gut mit einem Bild aus der Musik verdeutlichen: Stellen Sie sich eine Jazzband vor. Jeder spielt und improvisiert, aber nicht nur für sich, sondern jeder hört gleichzeitig auf die anderen. Man spielt einander die musikalischen Bälle zu, inspiriert sich wechselseitig und spornt sich zu musikalischen Ausflügenan. Jeder drückt sich zwar auf seine Art aus, dennoch reagiert man fortwährend aufeinander. Ähnlich wie Freunde, die füreinander und miteinander da sind. Also nicht weil man muss, sondern weil man gern miteinander spielt. Nicht die Leistung des Einzelnen steht im Vordergrund, sondern das Ganze, dem man sich mit seiner Musik unterordnet. Warum haben Bandspieler meist rote Wangen und funkelnde Augen? Weil das Tun an sich lustvoll ist und nicht einem fremden Zweck dient. Es spricht für sich selbst, ist zweckfrei und gerade deshalb so wertvoll, weil es seinen Wert in sich selbst trägt. Deswegen macht es tiefen Sinn.
    Anhand dieses Beispiels aus der Jazzmusik möchte ich eine Bewusstheit dafür erwecken, dass das Leben mehr als nur Nutzen ist – dass es Sinn machen soll. Und dass Sinn etwas Erlebtes ist und kein Sachwert oder Konsumgut. Insofern würde ich sagen, dass Sinn seinen Sitz im Bewusstsein und im Herzen hat. Als Gefühlszustand spüre ich, ob mein Leben derzeit sinnvoll ist oder nicht, auch wenn ich es nicht rational begründen kann. Um die Frage nach dem Sinn zu beantworten, muss ich in mich hineinhören, so als würde ich fragen: Wie geht es mir eigentlich? Was ist gerade mit mir? Im Italienischen ließe sich die alltägliche Frage: »Come ti senti?« auch übersetzen mit »Wie hörst Du Dich?« Selbst das chinesische Schriftzeichen für das Wort Sinn (yi) setzt sich zusammen aus den beiden Zeichen »Klang« und »Herz«. Auch hier der Hinweis auf das Herz, auf das wir hören sollen, wenn wir den Sinn einer Sache erfahren wollen. Das Beispiel aus der Jazzmusik zeigt, wie durch das Miteinandersein und das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher