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Leben macht Sinn

Leben macht Sinn

Titel: Leben macht Sinn
Autoren: Irmtraud Tarr
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fehlen würde, wenn es den Jazz oder die Klassik nicht mehr gäbe, so würde der Wegfall religiöser Wege als Verarmung und Verkümmerung eines Lebens empfunden werden. Es gibt starke Wünsche in uns, die sich der Zersetzung durch die Logik und der Nützlichkeit entziehen. Jeder begeisterte Musiker, jeder Fußballfanatiker, jeder Bergsteiger versteht das intuitiv. Je älter wir werden, desto mehr brauchen wir den Trost durch die großen Werke, die Religion, die Natur und vor allem – den Humor.
    Der Sinn des Lebens ist »die Liebe«, sagt Gesine Schwan, ist »Verinnerlichung« und »Vergöttlichung«, sagt Rudolf Steiner, ist das »Wahre, Gute, Schöne«, sagt Helmuth Freytag, »das ewige Leben zu gewinnen«, kommentierte Papst Johannes Paul II. »Je sinnlicher desto sinnvoller«, verkündet absatzfördernd das Magazin »Der Feinschmecker«, »mit der Familie glücklich sein«, »Erfolg im Beruf«, »Gesundheit«, »Anerkennung« und»möglichst viel Spaß«, so die Reihenfolge einer FORSA-Umfrage.
    Warum so viele verschiedene Meinungen? Gibt es nun eine richtige Antwort oder viele? Wenn es eine richtige gibt, wer hat nun Recht? Drücken diese Antworten vielleicht eher Wünsche aus? Oder redet jeder einfach drauflos, weil die Frage schlichtweg zu groß ist? Ich glaube, dass Letzteres der Fall ist, da wir nun mal mitten in diesem Leben stecken und nicht eine Außenposition zum Leben als Ganzem einnehmen können. Es sei denn, wir könnten über unseren Schatten springen. Aber so weit sind wir noch nicht.
    Wir können nur darüber sprechen, was Sinn für uns und mit anderen ist. Es sind diese drei Fragen, die jedem im Laufe seines Lebens begegnen: Wer bin ich? Was kann ich? Wohin gehe ich? Nur wir Menschen können neben uns selbst treten, uns selbst betrachten und von außen unser Tun nach dessen Sinn befragen. Das meint schließlich der Begriff »Selbstreflexion« – die Fähigkeit, sich selbst bewusst zu erleben, zu reflektieren und zu relativieren, um dadurch zumindest teilweise Alternativen entwickeln zu können. Wenn wir darüber hinaus auch noch über unseren Zaun schauen: Wer sind meine Weggefährten? Wie schaffe ich Raum für sie? Wie kooperiere ich?, dann sind wir so gut, wie wir nur sein können. Aber nicht ein für alle Mal, sondern tagtäglich neu, wenn wir uns mit Herz und Kopf dem Leben aussetzen. Dieser Gedanke ruht auf den Schultern von Sokrates, der sagte, Sein bedeutet, etwas zu tun. Um in seinem Sinn zu sprechen: Sinn entsteht, wenn wir Sorge um uns selbst, um andere und die Dinge dieses Lebens tragen und nicht nur reden, sondern sie auch in die Tat umsetzen. Die Sinnmelodie heißt: »Sein ist Tun«.

Qual der Wahl
    Sinn bleibt so lange vage, wie wir ihn nicht ausdrücken, ihm Worte verleihen, eine Rhetorik geben, ihn umsetzen. Jeder steht vor der Frage: Was ist mein Weg? Wie gewinne ich Sicherheit? Ein Weg könnte im Versuch liegen, gut zu leben, also darauf zu achten, was man einkauft, welchen Wein man trinkt, welchen Kleidungsstil man wählt, welches Auto man fährt. Solange man zufrieden ist, sich als Ästhet oder Gourmet zu definieren, mag diese Orientierung genügen. Vielleicht ist es aber nur eine vorläufige, und man fängt von vorn an. Es gibt ja heute unendlich vieles, womit Identität beschrieben wird: »Bastelexistenz«, »Ich-AG«, »Patchwork Identity«. So sind auch die Lebensentwürfe, die Menschen für sich basteln, nicht auf Dauer angelegt, sondern von vornherein absehbar, dass sie früher oder später ersetzt oder neu angepasst werden müssen.
    Die Qual der Wahl lähmt die Sensiblen und ist für manche eine Überforderung. Sie wissen nicht mehr, was sie tun sollen oder tun wollen. Sie haben zu viele Optionen und scheitern gerade deswegen. Der Soziologe Ulrich Beck bemerkt: »Wir werden, im Allgemeinsten undPrivatesten – zu Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos. Und viele stürzen ab.«
    In solchen überfordernden Situationen sind dann Sinnangebote, mit denen man sich identifizieren kann, hilfreich – aber auch verführerisch oder gar gefährlich. Je nachdem, ob man in gute oder schlechte Hände gerät. Vor allem einfach gestrickte Angebote, die Ordnung und »die Wahrheit« verkünden, mit Abhängigkeit operieren oder schnelle Befreiung verheißen, sind dann besonders attraktiv. Befasst man sich mit diesem schillernden Markt an Sinnangeboten, der zwischen Seriosität und Scharlatanerie oszilliert, so kann man ablesen, welche Bedürfnisse Menschen heute bewegen. Da gibt es die
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