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Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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lasse mich mit dem Taxi zur Baustelle fahren. Kein Auto zu haben, geht ganz schön ins Geld. Du musst richtig rechnen, Mira. Alles. Fixkosten, Stehzeiten. Und was, wenn ich mich gewaltig verrechne? Dann ab mit mir ins Recycling. Ich habe einen Vorteil. Ich bin gewarnt. Und wenn Weis glaubt unter polizeilicher Beobachtung zu stehen? Dann wird er eben nicht reagieren. Wenn er mit der Sache zu tun hat, wird er es jedenfalls versuchen, auch er hat nichts mehr zu verlieren. Berger könnte etwas ahnen. Er könnte mir helfen. Er hat ja auch bei Ida Moylen geholfen. Ist er stark genug? Egal. Nichts zu tun, halte ich nicht aus.
    Das Taxi passiert die Stadtgrenze. Flaches Industriegebiet, Autohändler, Fliesenhändler, Imbissbuden, Tankstellen, geduckte Häuser, lieblose Verkaufshallen. Wir könnten auch irgendwo im Mittelwesten der USA sein. SMS an Weis, an Berger, an Moylen: „Ich habe die VOLLSTÄNDIGEN Telefondaten von Carmen. Sie ist die Tochter meines Mannes. Mira Valensky. Alspha Recycling.“
    Es dauert, bis ich bei der Baustelle ankomme. Ich bin an der umgeleiteten Brünner Straße ausgestiegen und gehe den Schotterweg Richtung Recyclinganlage. Telefon. Ruft mich einer der drei an? Ich reiße das Telefon nahezu aus der Tasche. Es ist die Frau von der Versicherung. Sie teilt mir mit, dass man den Fahrerflüchtigen gefasst hat. Ein Frühpensionist der Post und Telekom aus Wien, Simmering. Einschlägig vorbestraft. Ich bedanke mich. Wohl tatsächlich ein Zufall, dass er mich abgeschossen hat. Wo sehe ich sonst noch Zusammenhänge, die es gar nicht gibt? Ich gehe weiter. Noch bin ich ein schönes Stück von ihr entfernt, aber die Recyclinganlage scheint nicht zu laufen. Nichts zu hören von dem hungrigen, malmenden Mahlen. Ich weiß nicht, ob mich das beruhigt. Ich höre ein paar Arbeiter lachen. Ich sehe zu ihnen hinüber. Sie stehen vor Containern und rauchen. Feierabend. Ob sie über mich lachen? Nein. Sie haben mich gar nicht gesehen. Eine sorgfältig aufgefädelte Kette roter Lkw wartet auf den morgigen Einsatz. Überdimensionales Baustellenschmuckstück. Bei der Anlage ist keiner mehr. Auch Slobo dürfte schon gegangen sein. Er wusste ja nicht, dass ich komme. Die Sonne geht gleich unter. Irgendwo muss ein Wächter sein. Wo? Nicht da. Besser so. Ich will wissen, was es mit den fehlenden Daten von Carmens Telefon auf sich hat. Ich will wissen, wer für das Verschwinden der beiden Frauen verantwortlich ist. Mira, das ist Wahnsinn. Ja, der einzig mögliche.
    Telefon. Schon wieder. Ich bin zu nahe an der Anlage. Falls noch jemand da ist, falls da schon jemand auf mich wartet: ich will auf keinen Fall vorzeitig bemerkt werden, ich will das Überraschungsmoment. Ich fingere mit meiner Hand in der Tasche, es dauert, bis ich den Klingelton abstellen kann. Ich lausche. Zwischen mir und den Arbeitern liegt nun einer der aufgeschütteten Erdhügel, sie können mich nicht sehen, wohl auch nicht hören. Ich nehme das Telefon vorsichtig heraus, sehe auf das Display, gebe das Telefon wieder in die Tasche. Meine Verbindung zum Rest der Welt. Es war Vesna. Steine und Erde und Steppe und Silos und Lastautoketten und Zerkleinerungsanlagen. Da ist kein Wächter. Ich sehe keinen, also ist keiner da. Ein Auto startet, weit weg.
    Ich werde Vesna anrufen. Das hier ist nicht „Allein gegen die Mafia“. Es wird sowieso niemand kommen. Trotzdem. Vesna soll Bescheid wissen. Für alle Fälle. Ich greife in meine Tasche, suche das Telefon. Da ist etwas hinter mir. Sicher ein Hase, wie damals. Ich fahre dennoch herum. Ich starre die Gestalt vor mir fassungslos an, zu keiner Reaktion fähig. Vor mir steht ein weißes Gespenst, etwas in einer weißen Kutte, nur dass die Kutte auch den Kopf zur Gänze bedeckt. Weiße Totalverschleierung, lediglich zwei Sehschlitze. Ich starre auf das vermummte Gesicht. Was sind das für Augen? Ich sollte lachen. Da will mir jemand mit dieser Ku-Klux-Klan-Maskerade Angst einjagen. Lache die Angst weg, Mira. Ich öffne den Mund, da ist eine Hand, weißer Handschuh, ein Tuch presst sich mir auf Mund und Nase. Ich würge, ich höre die weiße Gestalt keuchen, ich darf nicht atmen, muss kämpfen und dann nachlassen, aber ohne zu atmen. Sie muss glauben, dass ich ohnmächtig werde. Und dann … Das Tuch bleibt fest an meinem Mund, ich kann das Gespenst nicht abschütteln, ich tue so, als würde ich zusammensacken, das Tuch bleibt. Ich kann den Atem nicht länger anhalten. Ich ziehe Luft ein, durch die Nase, gierig, das
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