Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
Autoren: Thomas Breuer
Vom Netzwerk:
nicht ins Bild passte.
    Die Küchenausstattung verriet ihm, dass sein Großvater nicht
nur aus der Notwendigkeit heraus gekocht hatte. Leander legte seine Einkäufe
auf den Küchentisch, füllte einen Wasserkessel und stellte ihn auf den Gasherd,
entzündete ihn, nahm einen Teller und eine Tasse aus dem Geschirrschrank und
stellte sie zu den Brötchen und der Wurst, die er nun auf einen zweiten Teller
legte, auf den Tisch. In einer Schublade fand er Besteck. Während das Wasser
langsam zu kochen begann, öffnete Leander das Fenster, entriegelte die
Fensterläden und stieß sie weit auf. Nasskalte Luft und trübes Licht ergossen
sich in den kleinen Raum, so dass Leander die Lampe wieder ausschalten konnte.
    Im Schrank neben der Spüle fand er Filtertüten und eine halb
gefüllte Teedose. Erst jetzt wurde ihm so richtig bewusst, dass er mitten in
einen funktionstüchtigen Haushalt eindrang. Leander beschlich ein mulmiges
Gefühl, als er daran dachte, dass sein Großvater jeden Moment hereinkommen und
seine Eigenmächtigkeit tadeln könnte.
    Der Wasserkessel begann zu pfeifen und steigerte den
unangenehmen Ton in Sekunden zu einem unerträglichen Angriff auf Leanders
Trommelfelle. Er zog den Kessel von der Flamme und schaltete den Herd aus. Aus
dem Geschirrschrank nahm er eine Porzellankanne – wie auch das übrige Geschirr
in Friesenblau mit Blümchenmuster – und goss den Kaffee auf. Der kräftige Duft
verdrängte machtvoll den leichten Muffelgeruch, der über allem zu hängen
schien.
    Leander frühstückte mit Blick auf einen Ausschnitt des Gartens,
der mit seinen kahlen Obstbäumen um diese Jahreszeit und bei diesem Wetter
schwermütig in seinen immergrünen Ligusterhecken ruhte. Wie anders war der Eindruck
im letzten Sommer gewesen! Da hatte Leander oft mit seinem Großvater im
Schatten der Bäume gesessen und die Stille aufgesaugt, die ihm, dem
Großstädter, fast unwirklich erschienen war. In solchen Momenten war er sogar
ein wenig glücklich gewesen.
    In diesem Augenblick in der
Küche mit Blick auf den winterlichen Garten wurde Leander die Absurdität der
Situation klar, in der er sich befand. Niemals hätte sein Großvater ohne Not
dieses Zusammentreffen verpasst, auch nicht für irgendein Strandgut, zumal er
Leander ja selbst fast genötigt hatte zu kommen. Und ebenfalls niemals wäre er
als alter, erfahrener Seemann bei so einem Sturm in See gestochen, noch dazu
allein. Hier stimmte etwas nicht. Der alte Mann hatte keinen Zweifel an der
Dringlichkeit ihres Treffens gelassen. Zudem hatte er sich bereit erklärt,
Leander alles über seine Familiengeschichte zu erzählen, ein Thema, vor dem er
sich im Sommer immer gedrückt hatte. Oder war er gerade deshalb nun verschwunden?
Hatte er Angst gehabt, sich dem Thema zu stellen? Unsinn, schalt sich Leander.
    Er spürte den Drang, nicht erst auf den Anruf der Küstenwache
zu warten, sondern im Haus auf die Suche nach Anhaltspunkten zu gehen.
Andererseits, wenn der alte Fischer nun plötzlich gut gelaunt sein Haus betrat,
weil er den Termin entgegen aller Logik einfach verschwitzt hatte, und seinen
Enkel beim Durchstöbern seiner Sachen ertappte? Nein, Leander musste sich in
Geduld üben.
    Wie zur Bestätigung seiner Gedanken drang in diesem Moment ein
Geräusch von der Haustür durch den Flur. Leander war so erstaunt, dass er
zunächst gar nicht reagieren konnte, und während er auf weitere Geräusche lauschte,
erkannte er, dass seine kriminalistischen Instinkte offenbar völlig
eingeschlafen waren. Wie sonst war seine träge Reaktion zu erklären?
Andererseits, wovor hätte er hier auf der Hut sein müssen? Die Naivität dieser
Frage wurde ihm bewusst, als in der Folge von zwei, drei Schritten im Flur, die
plötzlich verharrten, dann aber entschlossen ihren Weg fortsetzten, Frau Husen
ihr waranartiges Gesicht, dessen tiefe Furchen ihren Fluchtpunkt in einem
verbiestert verkniffenen Mund fanden, zur Küchentür hereinsteckte. Die grauen
Haare waren jetzt streng nach hinten gekämmt und zu einem altertümlichen Dutt
zusammengebunden. Auch die Kleidung des Warans war einfach nur grau: langer
grauer Rock, grauer grob gestrickter Pullover, grauer Wollmantel – von Anno
Tuck, wie Inka gesagt hätte.
    »Frau Husen«, begrüßte Leander sie betont unbeeindruckt und
erhob sich, um der vorwurfsvoll blickenden Frau auf Augenhöhe zu begegnen.
    »Sie haben sich nicht bei mir gemeldet«, erklärte Frau Husen.
»Ich hätte erwartet, dass Sie mir Bescheid geben, wenn Sie vom
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher