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Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
Autoren: Thomas Breuer
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könne er nicht glauben, was er da sah.
    »Das ist die Haffmöwe «, stellte er fest, »der olle
Hinnerk. Ja, ist denn der lebensmüde!«
    »Lass nur«, entgegnete der andere Hafenarbeiter und zurrte die
Gangway mit einem Tau an einem Poller fest, »der Hinnerk ist uns allen über.
Ich wette, der fährt nach Wittdün und ankert da, und nach dem Sturm ist er der
Erste draußen bei der Sandbank. Sollst sehen, bevor die anderen Fischer wach sind,
hat der den Kahn voll mit Krabben und Strandgut. Der ist uns allen über, der
olle Hinnerk.«
    Als der Kutter das Leuchtfeuer von Langeneß passierte, zerriss
der erste Blitz die schwarze Wand, in einigen Sekunden Abstand gefolgt von
einem berstenden Donner, der die Trommelfelle der drei Männer im Hafen zu
zerfetzen drohte. Schlagartig war der Sturm da, zerrte an den Fahnenmasten,
schleuderte die eisernen Pkw-Rampen gegen ihre Träger und zauberte meterhohe
Wellen aus der bleischweren See, die sich gierig auf die Insel stürzten, vorbei
an der Nordfriesland , die nun eine ihrer schwersten Aufgaben zu
bewältigen hatte: das Abreiten der Wellen in sicherer Entfernung vom Kai, an
dem sie sonst zerschlagen worden wäre und die ganze Kaimauer mit ihr. Der aufgepeitschten
Gischt entgegen stürzten die Wassermassen vom schwarzen Himmel, der jetzt seine
Schleusen zu öffnen schien. Das Meer, das eben noch wie hingegossenes Blei
dagelegen hatte, war nun in einen Hexenkessel aus sich vorwärts wälzenden
Gebirgen verwandelt, deren Kämme vom Sturm zerfetzt und in alle Richtungen
zerstäubt wurden. Meterhohe Wellen zerschellten an der Kaimauer und
überschlugen sich über sie hinweg in den Hafenbereich.
    Weit und breit war kein Mensch mehr zu sehen, alle hatten sich
in ihre Häuser geflüchtet, um die erste schwere Sturmflut dieses Winters in der
Sicherheit ihrer vier Wände und im Vertrauen auf Gott an sich vorbeiziehen zu
lassen, wie die Insulaner es seit Jahrhunderten taten, und wie sie es auch
weiterhin tun würden, sofern diese Sturmflut die Insel nicht in den Abgrund
reißen würde, wie es einst, Anno 1362, die Grote Mandränke mit weiten
Teilen der Nordseeküste getan hatte. Damals waren die Inseln und Halligen
geboren worden, das wussten die Menschen hier, und genauso konnten sie nun wieder
untergehen, versinken im Schlick des Wattenmeeres, wie einst die berühmte Handelsmetropole
Rungholt, von der heute nur noch Tonscherben und Brunnenreste im Watt zu finden
sind.
    Der Hafenmeister rief seinen Arbeitern zu, sie sollten sich in
den Schutz der Hafengebäude begeben, mehr konnten sie nun nicht mehr tun.
Obwohl die Männer nicht hören konnten, was er schrie, da der Sturm ihm die
Worte direkt vor dem Mund wegriss und ins Nichts zerfetzte, wussten sie auch
so, was zu tun war – Insulaner wachsen mit den Naturgewalten auf und lernen,
sie zu respektieren. Die Männer liefen geduckt in Richtung Hafenmeisterei; dies
würde eine lange Nacht werden, eine Nacht der Bereitschaft für den Fall, dass
der Sturm die Insel und ihren Hafen härter herausfordern würde als gewöhnlich,
eine Nacht ohne Schlaf und in der bangen Erwartung des Morgens und der Schäden,
die dann zu beseitigen sein würden. Bevor der Hafenmeister die schwere Tür ins
Schloss zog und von innen verriegelte, warf er einen letzten Blick über die aufgewühlte
See in Richtung Langeneß. Im kurzen Licht eines Blitzes, der das Schwarz des Himmels
zerfetzte, erkannte er zum letzen Mal den Schattenriss der Haffmöwe ,
bevor sie endgültig jenseits der Hallig im Schwarz versank und vom tobenden
Blanken Hans verschluckt wurde.

1
    Donnerstag, 18. Dezember
    Die letzten fünfzig Kilometer waren fast noch eintöniger als
die Autobahn: Landstraßen und schlafende Dörfer inmitten platten Landes, und
hätte nicht hier und da ein Windrad aus dem tief über den Feldern wabernden
Dunst geragt, hätten die Augen gar keinen Halt gefunden. Leander steuerte
seinen Wagen, der vom steifen Nordost hin und her geschüttelt wurde, wie im
Tran und hatte Mühe, nicht einzuschlafen, da er nachts um drei Uhr aus Kiel
losgefahren war und auch davor kein Auge zubekommen hatte. Die Stimme seines
Großvaters war ihm einfach nicht aus dem Kopf gegangen und hatte dafür gesorgt,
dass er sich quälend im Bett hin und her gedreht und keinen Schlaf gefunden
hatte.
    Ohnehin hatte der Anruf Leander zu einem Zeitpunkt erreicht,
der nicht ungünstiger hätte sein können. Der alte Mann bat ihn, möglichst bald
zu ihm nach Föhr zu kommen, da er ihm dringend etwas
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