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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos
Autoren: Frank Schätzing
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haben (darum auch das große Interesse Amerikas an europäischer Historie und Kultur). Die USA sind zerrissen zwischen extremen Auffassungen, die Geschichte der Vereinigten Staaten geprägt von moralischer und physischer Gewalt. Das amerikanische System krankt an seiner eigenen Diffusität. Innerhalb einer machtvollen Union, die sich als Symbol der Einigkeit versteht wie keine zweite in der Welt, stehen einander fünfzig Staaten im Wege, deren Identitätsverständnis zum Teil extrem differiert. Als Folge gehen weltumspannende Interessen und globale Allmacht der USA einher mit bauerndummer Ignoranz gegenüber allem, was hinter dem nächsten Maisfeld liegt. Nirgendwo sonst in der Welt sind die Widersprüche so groß.
    Dementsprechend hat Amerika keine nationale Identität wie etwa Deutschland, Frankreich oder England. Der Patriotismus mancher Hollywood-Produktion kann darüber nicht hinwegtäuschen. Er dient vielmehr dazu, den Mangel an innerem Gleichtakt zu kompensieren. De facto ist die amerikanische Gesellschaft ein lockeres Konglomerat aus Interessen und Werteauffassungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie setzt sich zusammen aus wenigen, die viel, und vielen, die wenig haben, aus Liberalen und Demokraten auf der einen und Republikanern auf der anderen Seite, deren radikale Vertreter das Rad der Geschichte notfalls mit allen Mitteln zurückdrehen möchten.
    Natürlich sind die USA auch großartig in vielerlei Hinsicht. Tatsächlich gibt es dieses Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das dem Einzelnen unvorstellbare Offerten zur Entfaltung seiner Individualität bietet. Dieses Amerika ist eine einzige Geschichte der Freiheiten und Erfolge – das andere hingegen eines, das im Justizvollzug täglich die Menschenrechte verletzt, in dem Minderjährige und Geisteskranke hingerichtet werden, dreißig Millionen Menschen private Sicherheitsdienste in Anspruch nehmen müssen und eineinhalb Millionen Menschen hinter Gittern vegetieren. Ein Land, das für Gefängnisse mehr ausgibt als für Hochschulen, und in dem der Ku-Klux-Klan eine beispiellose Renaissance erlebt.
    Und – zugegeben – in kaum einem anderen Teil der Welt hat es derart überzeugende Aufrufe für Toleranz und Gleichheit gegeben wie in Amerika, hat der Fortschritt eine solche Chance erhalten. Umso mehr aber sind die Reaktionäre zurückgewichen in die Vergangenheit der pilgrim fathers, der ultraprüden Sexualneurotiker und religiös motivierten Rassisten. Selbsternannte Christen ohne jede Nächstenliebe, die ihren Glauben notfalls mit Gewalt predigen, gewinnen Oberwasser. Dumpfe Moralwächter, zu allem bereit, sehnen mittelalterliche Zustände herbei. Das freieste Land der Welt steht hinter dem islamischen Fundamentalismus in nichts zurück, wenn man einen Blick auf die erzkonservative Szene wirft.
    In diesem Land kann kein Präsident regieren, der es jedem irgendwie recht macht. Bis heute wurde jeder amerikanische Präsident Opfer von Feindseligkeit, Spott und Verachtung, weil es in den Staaten unmöglich ist, eine Richtung zu vertreten, die jedem akzeptabel scheint. Egal, was der Präsident sagt, immer hat er einen Teil des Volkes gegen sich. Lincoln, McKinley und Kennedy haben das nicht überlebt, Roosevelt und Reagan fast nicht, selbst Gerald Ford sollte umgebracht werden, und der war nun wirklich ein harmloser Zeitgenosse.
    Und plötzlich kam Bill Clinton. Er kam als Hoffnungsträger eines neuen und weltoffeneren Amerika. Weniger prüde als seine Vorgänger, friedensorientiert, auf Abrüstung und Verständigung bedacht, randgruppenfreundlich, idealistisch, jung. Er brachte Sinnlichkeit und Spaß mit in die Politik. Der Wahlkampf wurde auf dem Saxophon geführt. Clinton kam und brachte die Welt der Reaktionäre in Unordnung. Eine mächtige Welt. Eine Lobby.
    Er legte sich mit der Rüstung an, und die Rüstung ist konservativ, sie kann es nur sein. Vor allem aber repräsentiert sie in den USA eine Säule, auf der ein Großteil des amerikanischen Wohlstands ruht. Die amerikanischen Steuerzahler haben sechs Billionen Dollar in die atomare Aufrüstung gesteckt. Fast zwanzig Billionen Dollar hat das Gleichgewicht des Schreckens bis heute insgesamt gekostet – verständlich, dass der Kalte Krieg der Rüstungsindustrie ans Herz gewachsen ist. Aber Clinton wollte den Kalten Krieg beenden.
    Auch die Waffenlobby tobte. Wie konnte Clinton den öffentlichen Verkauf von Handfeuerwaffen verbieten wollen? Opa die harmlose kleine Maschinenpistole
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