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Lauter reizende Menschen

Lauter reizende Menschen

Titel: Lauter reizende Menschen
Autoren: Mary Scott - Joyce West
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eins über den Schädel!«
    »Aber liebster Vater: Draußen neben der Garage schläft ein absolut verläßlicher junger Mann, und dann sind anscheinend noch zwei Frauen da... Eine ansehnliche Belegschaft also — und alle sind, wie Onkel Peter schreibt, sehr nette, brave Leute.«
    »Eine gottverlassene Einöde!« knurrte der Vater. »Kilometerweit vom nächsten Dorf entfernt.«
    »Von Einöde keine Spur! Die Tankstelle liegt doch an einer erstklassigen Autostraße; Onkel Peter hat mir bei seinem letzten Besuch davon erzählt. Der Verkehr ist recht lebhaft, und auf der Hochebene, gar nicht weit entfernt, befindet sich ein Lager von Brückenbauern. Außerdem liegt ganz in der Nähe ein Ferienlager mit Bungalows und Zeltplätzen, und oben in den Bergen soll es eine Art Gestüt oder Trainingsstall geben — Onkel Peter sprach von Experimenten mit schwierigen Pferden.«
    »Pferdeknechte — und garstige Monteure, die mitten in der Nacht betrunken über dich herfallen!« stöhnte die Mutter auf.
    »Unsinn! Bestimmt sind sie durch und durch anständig... Und dann überlege doch nur, wieviel ich verdienen kann: mehr als die acht Pfund, die ich aus der Bücherei heimbringe!«
    »Es gibt Wesentlicheres als Geld!« Lucia wußte genau, was die Mutter damit meinte: Gesellschaft, Verlobung, Hochzeit und ähnliches — all das, wonach sich ein junges Mädchen zu sehnen hatte! Aber sie ließ sich nicht umstimmen. »Auf alle Fälle versuche ich es mal ein halbes Jahr lang. Vielleicht ist dann Onkel Peter ohnehin der Arbeitslosigkeit überdrüssig und übernimmt die Tankstelle wieder selbst!«
    Die Eltern tauschten einen gottergebenen Blick. Schon immer hatte Lucia ihren eigenen Willen durchgesetzt; dennoch war es ganz und gar nicht einzusehen, was sie diesmal veranlaßte, einen so verwegenen Plan derart halsstarrig zu verfolgen. Wo war der nette junge Mann nur geblieben, den sie beide so passend gefunden hatten — obwohl er Gedichte schrieb?
    An eben diesen jungen Mann dachte Lucia, als sie im Bett lag und mit Bangen auf den nächsten Erdstoß wartete. Wie albern und rührselig war doch diese Liebelei gewesen! Nur sie selbst hatte an Liebe geglaubt, nicht aber Wayne Norton.
    Ein halbes Jahr vorher war er zum erstenmal in die Bücherei gekommen, und sogleich hatte sich eine angeregte Unterhaltung über Dichtkunst ergeben. Damit hatte alles angefangen, dachte Lucia erbost, während sie sich die nächste Zigarette anzündete. Bald war er ein regelmäßiger Besucher der Bücherei, und wenig später hatte er sie nach Dienstschluß häufig zu einer Tasse Kaffee eingeladen. Bei der Gelegenheit beichtete er ihr alle seine Enttäuschungen und Seelenqualen, enthüllte ihr, wie es ihn dränge, Gedichte zu schreiben, und wie das Büro ihn anöde, in dem er acht Stunden täglich frone! Sie hörte ihm zu, besprach seine Gedichte mit ihm ebenso wie seine Zukunft — und sah in ihm den Mann aller Männer.
    Ganz plötzlich aber hatte er sich >abgekühlt< (um ihren eigenen rücksichtslosen Ausdruck zu gebrauchen). Nur noch einmal wöchentlich — statt bisher dreimal — war er zur Bücherei gekommen; schließlich tauschte er seine Bücher höchstens alle vierzehn Tage um, wobei er sich stets möglichst unauffällig wieder verdrückte. Lucia, die sich keinen Grund dafür denken konnte, war tief verletzt gewesen.
    Eines Tages aber, als sie zufällig ein neu eröffnetes Café betrat, hatte sie ihn sitzen sehen: mit einem sehr hübschen Mädchen, so blond, strahlend und auffallend, daß in Lucia auf der Stelle der Verdacht aufkam, sie sei ungebildet. Knallrot war Norton bei Lucias Auftauchen geworden, und hastig hatte er sich abgewendet. Sie aber hatte ihren verletzten Stolz hinter einem liebenswürdigen Lächeln verborgen, war an den Tisch gegangen und hatte sich seiner Braut vorstellen lassen.
    »Vor lauter Trennungsschmerz, weil ich eine Stelle in der Provinz angenommen hatte«, berichtete das Mädchen, »fing Wayne doch tatsächlich an, Gedichte zu verbrechen! Was sagen Sie dazu?«
    Lucia sagte nichts, aber die Demütigung empfand sie so lebhaft, daß sie sich bemühte, sie schleunigst zu vergessen.
    Dabei war sie, schalt sie sich selbst, keineswegs ohne Erfahrung. Sie hatte das normale Leben der Tochter wohlhabender, weltoffener Eltern geführt: gute Schulbildung, Ausbildung zur Bibliothekarin, Partys, Freundinnen, Bekanntschaften — sogar zwei Heiratsanträge — >von widerlichen Kerls<, wie sie sich in dieser späten einsamen Stunde ungewohnt
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