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Lausbubengeschichten

Lausbubengeschichten

Titel: Lausbubengeschichten
Autoren: Ludwig Thoma
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weil die Näherin so lange nicht
    gekommen war, und weil ich sie holen mußte und auf der
    Stiege ausrutschte und mit dem Kopf aufschlug und furcht-
    bare Schmerzen hatte.
    Ich dachte mir, wenn er es nicht glaubt, ist es mir auch
    wurscht, weil er es nicht beweisen kann.
    Er schimpfte mich aber nicht und ließ mich gehen.
    Einen Tag danach, wie ich aus der Klasse kam, saß die
    Marie auf dem Kanapee im Wohnzimmer und heulte furcht-
    bar. Und meine Mutter hielt ihr den Kopf und sagte: „Das
    wird schon, Mariechen. Sei ruhig, Kindchen!“
    „Nein, es wird niemals, ganz gewiß nicht, der Lausbub tut
    es mit Fleiß, daß ich unglücklich werde.“
    „Was hat sie denn schon wieder für eine Heulerei?“ fragte
    ich. Da wurde meine Mutter so zornig, wie ich sie gar nie
    gesehen habe.
    „Du sollst noch fragen!“ sagte sie. „Du kannst es nicht vor
    Gott verantworten, was du deiner Schwester tust, und nicht
    genug, daß du faul bist, redest du dich auf das arme Mädchen
    aus und sagst, du wärst über die Stiege gefallen, weil du für
    sie zur Näherin mußtest. Was soll der gute Professor Bindin-
    ger von uns denken?“
    „Er wird meinen, daß wir ihn bloß ausnützen! Er wird mei-
    nen, daß wir alle lügen, er wird glauben, ich bin auch so!“ schrie
    Marie und drückte wieder ihr nasses Tuch auf die Augen.
    Ich ging gleich hinaus, weil ich schon wußte, daß sie noch
    ärger tut, wenn ich dabei blieb, und ich kriegte das Essen auf
    mein Zimmer.
    Das war an einem Freitag; und am Sonntag kam auf ein-
    mal meine Mutter zu mir herein und lachte so freundlich
    und sagte, ich soll in das Wohnzimmer kommen.
    Da stand der Herr Professor Bindinger, und Marie hatte
    den Kopf bei ihm angelehnt, und er schielte furchtbar. Meine
    Mutter führte mich bei der Hand und sagte: „Ludwig, unsere
    Marie wird jetzt deine Frau Professor“, und dann nahm sie
    ihr Taschentuch heraus und weinte. Und Marie weinte. Der
    Bindinger ging zu mir und legte seine Hand auf meinen Kopf
    und sagte: „Wir wollen ein nützliches Glied der Gesellschaft
    aus ihm machen.“
    Die Vermählung
    Ich muß noch die Hochzeit von meiner Schwester mit dem
    Professor Bindinger erzählen.
    Das war an einem Dienstag, und ich hatte den ganzen
    Tag frei. Ich kriegte einen neuen Anzug dazu und mußte
    schon in aller Frühe aufstehen, damit ich rechtzeitig fertig
    war. Denn es war eine furchtbare Aufregung daheim, und es
    ging immer Tür auf und Tür zu, und wenn es läutete, schrie
    meine Mutter: „Was ist denn, Kathi?“ Und meine Schwester
    schrie: „Kathi! Kathi!“ und die Kathi schrie: „Gleich! gleich!
    Ich bin schon da“, und dann machte sie auf, und wenn es ein
    Mann war, der eine Schachtel brachte oder einen Brief, dann
    kreischten sie alle und warfen ihre Türen zu, denn sie waren
    noch nicht ganz angezogen.
    Dann kam ein Diener und sagte, der erste Wagen mit den
    Kindern ist da, und es ging wieder los. Meine Mutter rief:
    „Bist du fertig, Ludwig?“ und Marie schrie: „Aber so mach
    doch einmal!“ Und ich war froh, wie ich drunten war.
    Im Wagen saß die Tante Frieda mit ihren zwei Töchtern,
    der Anna und Elis. Sie hatten weiße Kleider an und Locken
    gebrannt, wie bei einer Firmung. Die Tante fragte gleich: „Ist
    Mariechen recht selig? Das kann man sich denken, so einen
    hübschen Mann, und hätte kein Mensch gedacht, wo er doch
    dein Professor war!“
    Ich wußte schon, daß die alte Katze immer etwas gegen
    uns hat und, wo sie kann, meiner Mutter einen Hieb gibt. Aber
    ich habe sie auch schon oft geärgert, und ich sagte jetzt zu der
    Anna, daß ihre Sommersprossen immer stärker werden.
    Dann waren wir aber an der Kirche und gingen in die
    Sakristei, und die Tante mußte es hinunterschlucken und
    freundlich sein, weil sie der Herr Pfarrer anredete.
    Jetzt kam ein Wagen, da war Onkel Franz drin mit Tante
    Gusti und ihrem Sohn Max, den ich nicht leiden kann. On-
    kel Franz ist der reichste in der Familie; er hat eine Buchdruk-
    kerei und ist sehr fromm, weil er eine katholische Zeitung
    hat. Wenn man zu ihm geht, kriegt man ein Heiligenbild,
    aber nie kein Geld oder zu essen. Er tut immer so, als ob er
    Lateinisch könnte; er war aber bloß in der deutschen Schule.
    Die Tante Gusti ist noch frömmer und sagt immer zu meiner
    Mutter, daß wir zu wenig in die Kirche gehen, und daher
    kommt das ganze Unglück mit mir.
    Wie sie hereinkamen, sind sie zuerst auf den Pfarrer los,
    und dann hat Tante Gusti die Tante Frieda geküßt und Tante
    Frieda
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