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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis
Autoren: Henning Boetius
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Maßangaben, Datierungen und Mängellisten.
    Zufällig war Dr. Labisch damals dabei, als jener Vorfall geschah, der mein Leben so nachhaltig verändern sollte. Es war einer der üblichen Routineaufträge. Ich sollte drei Bilder eines wenig bekannten Expressionisten auf ihre Transportfähigkeit hin begutachten. Ich weiß noch, daß ich mich über die Bitte wunderte, sie trotz ihrer Mittelmäßigkeit für eine Ausstellung zu reklamieren.
    Wie immer ging mein Begleiter voran. Er hatte mit seiner dem Fallen verwandten Gangart keinerlei Schwierigkeiten, den verwinkelten Weg zum Depot zurückzulegen. Dr. Labisch schloß auf und ließ mich dann ganz gegen die Vorschrift allein. Es handelte sich um Bilder des 20. Jahrhunderts, die in seinen Augen offenbar jeder Existenzberechtigung entbehrten.
    Ich sah in der Kartei nach und ermittelte die Standortnummer der Gemälde. Dann betätigte ich den Knopf der elektrischen Hubanlage. Die eiserne Gitterwand mit den auf beiden Seiten befestigten Bildern glitt langsam und lautlos herab.
    Solche platzsparenden Anlagen gibt es nur in wenigen Museen auf der Welt. So verrottet und altmodisch unsere Ausstattung sonst auch sein mochte, in diesem Fall war nicht geknausert worden. Die meisten Bilder, die hier hängen, taugen nicht viel, aber ihre Versorgung und Aufbewahrung ist erstklassig. Man wird an modernste Bühnentechnik erinnert, wo sich auf Knopfdruck die unterschiedlichsten Kulissen vom Schnürboden herabsenken lassen, um auf der Bühne immer neue Scheinwelten zu erzeugen.
    Eines der Bilder, das ich suchte, trug laut Kartei den Titel ‘Liegendes Mädchen. Nackt’. Ich erwartete eine halbherzig stilisierte Malerei und hoffte, wenigstens dieses Motiv gleich zu erkennen. Mein Blick wurde jedoch bald von etwas anderem unwiderstehlich angezogen: Vom Theaterhimmel unseres Depots glitt eine Farbe herab, die in ihrer Intensität alles in ihrer Nachbarschaft verblassen ließ. Welch ein Grün! Ein Grün mit hohem Blauanteil. Es war undurchsichtig und hatte dennoch Tiefe. Ja, es reizte, den Finger hineinzustecken. So etwas kenne ich vom Meer. Oder von den Bruchkanten großer Glasflächen. Ein Grün, das durch die Überlagerung vieler fast durchsichtiger Schichten entsteht. Wassergrün, glasgrün, meergrün. Es war kein Meeresbild, sondern ein Porträt, das dort in mein Blickfeld schwebte. Obwohl ich anfangs glaubte, Wellen zu sehen, waren es die Falten eines Kleides aus meergrüner Seide, Atlasseide, wahrscheinlich feinste Qualität, sechzehnschäftige Atlasseide, deren metallischer Glanz einem sonnenbeschienenen Wasser unendlicher Tiefe zugehören könnte.
    Welch einen Kontrast zu diesem Grün bildeten die zartrosa Töne der gemalten Haut! Ich sah sofort, daß es sich um ein Inkarnat von ungewöhnlicher Qualität handelte. Der Maler hatte es verstanden, durch Lasur mehrerer Schichten unterschiedlicher Mischungen von Bleiweiß und Zinnober der Haut eine Wärme und Weichheit zu verleihen, wie sie einer jungen Person von großer Schönheit im wirklichen Leben eigen ist. Verstärkt wurde diese Wirkung noch durch den hauchdünnen Schleier, der mit dem Kleid vernäht war und der das Dekolleté zu gut zwei Dritteln bedeckte. Er war so perfekt, so täuschend echt gemalt, daß er sich über der Brust zu spannen schien und die tieferliegenden Partien des Ausschnitts nicht berührte. Sie atmete, wie mir schien. Kaum merklich, wie die Brust eines Menschen im tiefsten Schlaf, wenn selbst die Träume erloschen sind und ihn nur noch der Hauch eines schwachen und regelmäßigen Luftholens vom Tode trennt.
    Als die Bilderwand mit einem Ruck zum Stehen kam, trat ich einen Schritt zurück. Ich wollte das Gemälde aus einer optimalen Entfernung betrachten, um die Qualität der Komposition auf mich wirken zu lassen. Sie war in der Tat außerordentlich. Die Haltung der Dargestellten drückte Würde aus, der jenes Quentchen Koketterie beigemischt war, das gerade ausreichte, dem offiziellen Stil des Bildes einen Hauch von Intimität zu verleihen.
    Es handelte sich um eine Gentildonna, eine vornehme Dame. Dies bedeutet keineswegs, daß sie von Adel sein mußte. Es konnte auch eine Kokotte sein, die ihren hohen gesellschaftlichen Rang mit anderen Mitteln als denen der Blutsbande erreicht hatte.
    Sie saß da vor einem grünen Vorhang und neigte das Haupt ein wenig, so als kniete unmittelbar vor ihr ein Verehrer. Ja, der leicht abwärts geneigte Blick aus diesen grauen Augen zwang den Betrachter förmlich in eine
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