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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis
Autoren: Henning Boetius
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Revieren zu tun pflegen. Ja, es war beinahe so, daß eine Signatur damals eher ein Zeichen von Unsicherheit, von mangelndem Selbstbewußtsein war.
    Nachdem sich meine erste Verblüffung gelegt hatte, beschloß ich innerlich, alles dafür zu tun, um dieses Bild aus seinem Schattendasein im Hades unseres Depots zu befreien. Ich wollte es gründlicher untersuchen, als ich es je mit einem Bild gemacht hatte, und ich wollte es mit einer Sorgfalt restaurieren, die es der Umklammerung der Zeit für immer entriß.
    Unsere Kunsthistoriker würden von mir jede nur erdenkliche technische Hilfestellung bei der Ermittlung des zweifellos genialen Urhebers erhalten. Und ich würde unseren Direktor davon überzeugen, daß dieses Meisterwerk an einen exponierten Platz in unseren offiziellen Räumen gehörte. Heute habe ich den Verdacht, daß ich schon damals all diese Impulse nicht aus wissenschaftlichen oder beruflichen Gründen verspürte, sondern um jener unbekannten Gentildonna willen. Konnte ich sie so von der Anonymität eines in Vergessenheit geratenen Lebens befreien? Konnte ich sie durch eine Zuweisung des Porträts aus ihrem jahrhundertelangen Dornröschenschlaf erlösen?
    Eines ist im übrigen sicher: Ich stellte all diese Überlegungen nicht im eigentlichen Sinne an. Ich war ihnen vielmehr ausgeliefert und im Grunde völlig durcheinander, wie betäubt von jenem Rausch der Sinne und Vorstellungen, den Liebe auf den ersten Blick bewirkt.
    Ich hatte inzwischen meinen eigentlichen Auftrag, die Suche nach den drei Bildern des mittelmäßigen Expressionisten, völlig vergessen. Ich hatte nur einen Wunsch: das Bild in meine Werkstatt bringen zu lassen. Vielleicht konnte ich es mit Dr. Labisch zusammen hochtragen. Jetzt bedauerte ich es, daß er nicht da war. Ich riß mich vom Anblick der Gentildonna los, um gleich darauf in eine tiefe Nacht zu stürzen.
    Später sah die Geschichte recht banal aus. Ich war in meinem verwirrten Zustand gegen einen jener scharfkantigen Eisenträger gelaufen, die die Führung der Bilderwände abgeben. Sie enden in einsachtzig Meter Höhe und sind für alle größeren Leute eine echte Falle, da sie wie ein umgekehrter Palisadenzaun in Abständen von ungefähr fünfzig Zentimetern von der Decke herabragen. Ich hatte mir eine leichte Gehirnerschütterung und eine üble Fleischwunde in der Nähe der linken Schläfe zugezogen. Dr. Labisch hatte mich ohnmächtig und blutend auf dem Steinboden des Depots liegend gefunden. Ich verbrachte einen Tag im Krankenhaus. Die Schmerzen wurden nicht unerheblich durch den Gedanken gelindert, vermutlich eine Narbe an der gleichen Stelle wie die Dame auf dem Bild zurückzubehalten.
    Als ich wieder in meiner Werkstatt war, bestand meine erste Amtshandlung darin, das Porträt der Gentildonna dorthin bringen zu lassen. Ich stellte es in die große Staffelei und schob sie in die Nähe der staubigen Fenster. Dann sagte ich der Zentrale Bescheid, daß ich wegen einer kritischen Arbeit nicht gestört werden wolle. In Wirklichkeit setzte ich mich in den verschlissenen Ledersessel und betrachtete das Bild. Ganz gegen meine Gewohnheit zündete ich mir eine Zigarette an – Rauch ist ein Gemäldetod, Restauratoren rauchen deshalb nie an ihrem Arbeitsplatz – und versenkte mich in den Anblick der Gentildonna. Ich hatte Kopfschmerzen, und meine Wunde brannte. Doch ich fühlte mich glücklich wie schon seit langer Zeit nicht mehr.«
    Wieder machte Francesco eine Pause. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und bat Monsieur Bazin um eine Zigarette, die er jedoch nicht anzündete, vielmehr nervös zwischen den Fingern rollte. »Ich will damit nicht sagen, daß ich mich in den vergangenen Jahren unglücklich gefühlt habe. Nein, ich würde mich sogar als überwiegend zufrieden bezeichnet haben. Doch es war ein anderes Glück. Es war feiner verteilt, gleichmäßiger wohl, von weniger Schwankungen betroffen. Ich lebte wie in einem Aquarell, mit blassen, ineinander verlaufenden Farben, nicht wie in einem Ölbild, das kraftvoller ist in seinen Ausdrucksmitteln. Vielleicht hing dies mit dem Alltagstrott meines Berufes zusammen, vielleicht auch mit der Art meiner Ehe. Ich habe davon noch nicht erzählt, aber nun wird es nötig sein. Ich führte seit etlichen Jahren eine durchaus gute Ehe. Anfangs hatten wir den klassischen Fehler aller Paare gemacht, uns zu sehr aneinander zu klammern. Inzwischen hatte uns die Erfahrung gelehrt, souveräner mit dem Leben umzugehen. Meine Frau war
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