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Laura, Leo, Luca und ich

Laura, Leo, Luca und ich

Titel: Laura, Leo, Luca und ich
Autoren: Stefan Maiwald
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dargeboten und damit auch erwartet. Wer ganz offensichtlich nicht am Marktstand arbeitet oder die Straße fegt, heißt sofort
Dottore
. Um in den Genuss dieser Anrede zu kommen, reicht manchmal schon ein gebügeltes weißes Hemd. Wer tatsächlich einen Doktortitel erworben hat, wird dagegen mit
Professore
angesprochen. Die weiblichen Formen lauten
Dottoressa
und
Professoressa
. Auch sensorisch Unbegabten wird einleuchten, dass
Ciao, Professoressa!
unpassend klingt.
    Die Wertschätzung ist nicht auf Geistesarbeit beschränkt: Jemand, der in seinem handwerklichen Beruf gut ist, wird schnell zum
Maestro
, und auch das unter Bekannten übliche
Capo
(Chef) ist zwar scherzhaft-ironisch, aber nicht ohne Respekt gemeint. Wer beim Ansprechen unsicher ist, aber dennoch seinen Respekt und seine Wertschätzung herausstreichen will (etwa beim Polizisten, der einem gerade den Strafzettel für zu schnelles Fahren ausstellt), dem hilft ein
Signore
weiter, das ist besser als nichts.
Ufficiale
wäre zwar passender, aber Ausländer, die dieses Wort kennen, machen sich umso verdächtiger. Menschen in schwarz, die gerade aus einer Kirche kommen, sollte man mit
Monsignore
anreden. Die exklusivste Anrede dürfte
Padrino
sein, zu deutsch »Pate«. Dieser Titel ist derzeit für drei, vier Sizilianer reserviert. Seien Sie versichert, dass es Ihr Leben nicht uninteressant macht, diese Anrede niemals gebrauchen zu müssen.
    |162| Für mich eine wunderbare Sache: Ehrentitel gelten auch rückwirkend und verfallen nie. Es reicht ein kurzer Moment im Licht, nur wenige Minuten Ruhm, und die Meriten sind auf Jahrzehnte hinaus gesichert. Aufgrund meiner äußerst erfolglosen drei Monate Chefredakteurschaft der Reisezeitschrift ›Globo‹ (siehe Seite 29) heiße ich in Grado bis heute
Il Direttore
.

|163|
Dienstag, der
17.
    D er Aberglaube hat die italienische Seele souverän im Griff. Ich bin diesbezüglich Experte, denn ich habe noch niemanden getroffen, der abergläubischer ist als meine Frau. Selbst Süditaliener machen sich über sie lustig. Marina nennt Laura immer »piccola Napoletana«, denn es soll niemand Abergläubischeren geben als eine neapolitanische Hausfrau. Aber ich behaupte: Schickt man eine neapolitanische Hausfrau gegen Laura in den Ring, gewinnt Laura durch technischen K. o. in der sechsten Runde.
    Zunächst verbat sie mir, an bestimmten Tagen gen Grado aufzubrechen. Niemals dürfe man an einem Dienstag oder Freitag losfahren oder an einem dieser Tage zurückkehren. Ein altes venezianisches Sprichwort sagt: »Ne de Venere ne de Marte no se ’riva e no se parte.« Damals waren die Samstagsstaus wohl noch unbekannt. Dann erklärte sie mir, ich möge vor dem Start den Autoschlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger reiben. Das bringe Glück. Überhaupt sei alles Metallische, zwischen den Fingern gerieben, nicht nur ein Glücksbote, sondern auch eine wirksame Abwehr |164| gegen das Unglück in Form von schwarzen Katzen. Kreuzt eine schwarze Katze den Weg – von denen es in Grado etwa so viele gibt wie menschliche Bewohner   –, bleibt Laura stehen, bis jemand anderes, zumeist ein ahnungsloser österreichischer Tourist, den unsichtbaren Schicksalsfaden durchschreitet (das Leben ist hart). Wenn wir nachts durch Grado fahren und eine schwarze Katze die Straße überquert, dann kehrt Laura um und nimmt eine andere Straße. Der Umweg kann gar nicht groß genug sein. Und dann, nur um sicherzugehen, rubbelt sie noch den Hausschlüssel warm.
    An Silvester wird ganz Italien zu einer kollektiven Laura. Zunächst gibt es am Silvesterabend Linsen bis zum Abwinken, denn Linsen symbolisieren Geldstücke, und je mehr man davon im Laufe des Abends verdrückt, desto mehr Geld gibt es im kommenden Jahr. (Wer sich jetzt wundert, der sollte vielleicht mal daran denken, dass man in der Kirche ja auch Blut und Leib Christi verspeist). Im nächsten Leben heirate ich eine Spanierin, denn in Spanien gilt es, in der Minute vor Mitternacht möglichst viele Weintrauben zu vertilgen, was einerseits bekömmlicher ist, und weil andererseits Schnellschlingen eine Disziplin ist, in der ich quasi unschlagbar bin. Rote Unterwäsche muss zum Jahreswechsel die Haut berühren, sonst droht ein Leben voller Pech und Steuerfahndung.
    Ich bin natürlich nicht abergläubisch. Klar, vor einem wichtigen Golfturnier ziehe ich immer einen weißen Rolli an und darüber einen schwarzen Pullunder. |165| Ich markiere meine Bälle mit einer britischen Münze, die schon den Rasen
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