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Laura, Leo, Luca und ich

Laura, Leo, Luca und ich

Titel: Laura, Leo, Luca und ich
Autoren: Stefan Maiwald
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norddeutschen, protestantisch erzogenen, zum Pessimismus neigenden Meisterplaner und einer italienischen, katholisch erzogenen Improvisationskünstlerin.
    Ich sehe das so: 46   Wochen im Jahr arbeiten wir. |173| 6   Wochen im Jahr haben wir das Privileg, keinen brackigen Bürokaffee ertragen zu müssen. Keine Schweißausbrüche, weil wir immer dann privat im Internet surfen, wenn der Chef gerade ins Zimmer kommt. Keine vierstündigen Höllenkonferenzen mit schlechter Luft und alten Keksen. 6   Wochen von 52, das ist nicht viel. 11,54   Prozent des Jahres. Was ist so falsch daran, sich über diese so entsetzlich wenigen Tage genaue Gedanken zu machen?
    Ich gestehe: Ich kriege am Abend zuvor sogar Reisefieber. Selbst wenn es nur am nächsten Vormittag raus zu Ikea geht. 1 Ich habe keinen Appetit, schlafe schlecht und würde am liebsten um 4   Uhr morgens losfahren, um ganz sicher nicht in einen Stau zu kommen. Laura muss ich wachrütteln. Immer. Dann gähnt sie. Ich gehe unterdessen zum achtzehnten Mal meine Listen durch, ob ich nichts vergessen habe. Und überprüfe, ob mein Pass auch ganz bestimmt noch gültig ist. (Einmal, als 1 5-Jähriger , bin ich wegen eines ungültigen Kinderausweises aus der DDR rausgeflogen – das größte Abenteuer meines Lebens.)
    Ich will fünf Sterne wohnen, aber nur einen Stern bezahlen. Klar, dass das lange Vorbereitung braucht und sorgfältige Suche. Laura setzt sich ins Auto, legt den Gang ein und fährt los. Rätselhafterweise findet sie auf Anhieb das schnuckelige Hideaway mit eigenem Weinberg und großartiger Küche, das so lachhaft |174| wenig kostet, dass ich bis zum Schluss denke, die Besitzer werden uns irgendwie doch noch übers Ohr hauen oder uns, wohlgenährt und braungebrannt, an herumziehende Sklavenhändler verschachern.
    »Alexander von Humboldt wäre nie aus dem Dschungel zurückgekehrt, hätte er nicht jahrelang seine Reise geplant!«, argumentiere ich. »Christoph Kolumbus hätte nie Amerika entdeckt, hätte er seine Reise gut geplant«, sagt Laura. Ist ja auch ihr Landsmann. Klar, dass sie den verteidigt. Und wenn ich dann erwähne, dass Christoph Kolumbus nach seiner letzten Reise in Ketten gelegt wurde, entgegnet sie einfach schnippisch: »Aber er hat Amerika entdeckt.« Wie kann man in so einem Gespräch je gewinnen?
    Und noch etwas: Ja, ich plane. Deswegen muss ich nie nach dem Weg fragen. Wenn wir auf eine zweifelhafte Straße eingebogen sind, dann wird das schon stimmen. Ganz bestimmt. Tankstelle um Tankstelle lassen wir hinter uns, ohne anzuhalten, um zu fragen, und Laura schaut mich dann an wie Tom Cruise seinen autistischen Bruder in ›Rain Man‹.
    Irgendwann, wenn wir uns tatsächlich verfahren haben (was nie bzw. fast nie bzw. sehr selten bzw. höchstens einmal pro Tag vorkommt), höre ich eine düstere, prophetische Stimme vom Beifahrersitz. »In der Wüste, sagen die Beduinen, kann man sich nur einmal verirren.«
    Manchmal macht mir Laura ein bisschen Angst.

|175|
Das Leben ist ein Spiel
    J etzt endlich, nach jahrelanger Suche, habe ich einen Ort entdeckt, an dem sich haufenweise Frauen zwischen 25 und 35 herumtreiben. Und zwar ohne ihre Ehemänner. Sogar die Gesprächsthemen ergeben sich wie von selbst. Das ist, was man angesichts meiner familiären Situation Ironie des Schicksals nennt.
    Da Laura tagsüber ihr Geld verdient und ich das, was ich Arbeit zu nennen wage, abends und nachts ausübe, bin ich einer dieser Väter, die stundenlang auf Spielplätzen herumlungern. In Grado bin ich zumeist auf dem großen Spielplatz an der Viale Dante, der auch den Kindern gefällt, da direkt daneben eine große Gelateria ist. Ich kenne mich mit der Stadtentwicklung nicht so gut aus, würde aber mal wetten, dass erst der Spielplatz kam und dann die Eisdiele.
    Natürlich sind Kinder nicht dazu da, andere Frauen kennen zu lernen. Obwohl: Weiß man, welche Mittel und Wege die Natur geht? Behaupten doch Forscher inzwischen, dass die Henne eine Erfindung des Eis sei, um weitere Eier zu erschaffen. Oder: Atomphysiker seien die Erfindung von Atomen, um über Atome |176| nachzudenken. Vielleicht haben also Kinder nicht nur den Zweck, uns junge Väter zu glücklichen Menschen zu machen, was sie zweifellos tun: Vielleicht wollen sie uns wieder unserem evolutionären Zweck zuführen, und der lautet: Vermehrung.
    Ein Spielplatz ist jedoch ein ebenso glattes soziales Parkett wie eine Gehaltsverhandlung, eine erste Verabredung oder eine Weihnachtsfeier: Auch hier,
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