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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit
Autoren: Olen Steinhauer
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Nationen, die jeden Tag durch das New Yorker Verkehrssystem geschleust wurden.
    Bis zum Prospect Park lief alles wie vorhergesehen, denn er hatte sich mit Rick zusammengesetzt und jede Etappe seiner Reise nach Westen durchgesprochen. Er hatte seine unleserlichen Notizen in die Karte eingetragen, die Rick ihm besorgt hatte, und einen Kreis um die Ecke Garfield Place und Seventh Avenue gezogen. Aber zuerst musste er in den Park.
    Er hatte einen frühen Flug genommen, und dank der verschiedenen Zeitzonen war es erst kurz vor drei Uhr nachmittags. Der Tag war klar, aber frostig, und als er sich auf einer Bank niederließ, sah er Menschen mit Hunden, manche an Leinen, andere frei laufend. Hunde in einer verwirrenden Vielfalt von Rassen. Auch Geschäftsleute mit Handys gab es. Eigentlich war es ganz ähnlich wie in Deutschland, und er fragte sich, warum so viele Moldawier unbedingt hierherwollten. Er musste an Vasile denken, einen anderen Taxifahrer, der vor Neid geplatzt wäre,
wenn er gewusst hätte, wo Andrei gerade war. Aber davon wusste niemand etwas. Das hatte ihm Rick eingeschärft. »Nicht einmal Rada.«
    Die arme Rada, die sich heute nach dem Aufstehen unwillkürlich wieder schwarz angezogen hatte, obwohl die offizielle Trauerzeit zu Ende war. Dieser Milo Weaver hatte nicht nur Adriana getötet. Er hatte auch Rada und Andrei getötet.
    Und so erklärte er ihr bei seinem Aufbruch am Morgen, dass er Vasiles Frühschicht übernommen hatte. Als hätte sie etwas geahnt, fragte sie ihn, ob er nicht anrufen konnte, damit jemand anders einsprang. Sie wollte, dass er bei ihr zu Hause blieb. Denn sie selbst hatte sich wieder krankgemeldet. Sie hielt es einfach nicht allein aus in der Wohnung. Er hatte sie ermahnt – »Wenn du dauernd krank bist, verlierst du deine Arbeit. Wir müssen doch Geld verdienen« –, sich aber mit einem sanften Kuss von ihr verabschiedet.
    »Andrei?« Die Stimme ließ das gerollte R in seinem Namen aus.
    Sein Blick fiel auf einen Chinesen. Mager, größer als erwartet, in einem Trenchcoat. Er hatte eine Papiereinkaufstüte mit der Aufschrift BARNEYS NEW YORK dabei.
    »Ja.« Er besann sich. »Ich Andrei. Und Sie Li?«
    »Höchste Zeit«, antwortete der Mann und gab einen englischen Wortschwall von sich, den Andrei nicht verstand. Schließlich stellte er die Tüte auf den Boden und sagte: »Okay?«
    Andrei nickte. »Ja, danke.«
    Eine Sekunde starrte ihn der Mann mit zweifelnder Miene an, dann wandte er sich ab und ging.
    Andrei wartete und atmete durch den Mund, weil seine
Nase auf einmal verstopft war. Er beobachtete, wie die Hunde durch den Park rannten, wie sie übereinander stolperten und hüpften, wie sie nacheinander schnappten und sich gegenseitig umwarfen. Die Zunge peitschte ihnen gegen die Schnauze, als sie dahinjagten, die Augen weit aufgerissen vor Begeisterung.

15
    Sie erinnerte sich an Venedig. Wieder sie drei wie damals – sie drei und ein Fremder. Angela Yates war die einzige fehlende Akteurin, aber sie lebte nicht mehr. Sie war seit acht Monaten tot.
    Doch das war erst später. Als es geschah, erinnerte sie sich an gar nichts. Es war ein eigener Moment ohne Vergangenheit und Zukunft, und ihr Instinkt übernahm das Kommando: Sie packte Stephanie und zog sie an sich.
    Gerade hatten sie die Wohnung verlassen. Sie hatten für sieben im Long Tan reserviert und waren spät dran. Die kleine Miss plapperte vor sich hin. »Wieso parkt man in einer Auf fahrt und fährt auf einem Parkweg? Das ist doch …« Sie brach mitten im Satz ab. Nicht wegen der Ereignisse, sondern weil die Worte sie im Stich ließen. Eine Minute später sollte Tina ihre Sprachlosigkeit teilen.
    Er fiel nicht auf. An einem Ort wie New York fallen nur wenige Leute auf, und der Mann in der schmutzigen kurzen Jacke, der mit einer Ledertasche und einer Einkaufstüte von Barneys auf der Vordertreppe saß, sah aus wie jeder x-beliebige Besucher in dieser Stadt der Besucher. Hinter ihm schob ein schwarzes Paar einen Kinderwagen, und auf der anderen Seite des Garfield Place schwirrten vietnamesische Floristen um das atemberaubende Blumenangebot vor ihrem Laden. Der Mann hörte sie und schaute sich um. Er hatte ein rundes, wabbeliges
Gesicht, tiefliegende Augen und neben den Stoppeln, die fast bis zu den Wimpern reichten, auch sonst ziemlich viele Haare. Sein Schopf wirkte ölig.
    Tina wandte sich zur Tür um, während Milo seiner Tochter etwas erklärte. »Sprache folgt nicht immer sinnvollen Regeln. Im Russischen zum
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