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Lanzarote

Lanzarote

Titel: Lanzarote
Autoren: Michel Houellebecq
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menschlichen Wesen ihnen ähnlich waren; sich jegli cher Kontaktaufnahme zu enthalten, schien ihnen die klügste Verhaltensweise. Die Geschichte Lanzarotes bis in die jüngere Zeit hinein war also die einer völligen Isolierung; von dieser Geschichte war nichts übrig außer den lückenhaften Schil derungen mancher spanischer Priester, die einige Berichte gehört hatten, bevor sie die Massaker an der lokalen Bevöl kerung absegneten. Diese Unwissenheit war später die Quelle verschiedener Mythen über das wahre Atlantis.
    Ich bemerkte, dass Rudi mir nicht mehr zuhörte; er trank seinen Wein aus, benommen oder nachdenklich. Es stimmte, ich war vom Thema abgeschweift. Die Einwohner von Lanza rote, nahm ich den Faden wieder auf, haben genau dieselbe Einstellung zur Schönheit wie die meisten Eingeborenen an dernorts. Der Eingeborene, völlig unsensibel gegenüber dem Schönen in seiner natürlichen Umgebung, ist in der Regel damit beschäftigt, es zu zerstören, zur Verzweifung des Tou risten, einem sensiblen
    Wesen auf der Suche nach Glück. Wenn der Tourist ihn auf das Schöne hinweist, ist der Eingeborene imstande, es wahrzuneh men, es zu schützen und seine kommerzielle Nutzung in Form von Ausfügen zu organisieren. Doch dieser Prozess stand in Lanzarote noch ganz am Anfang; man brauchte sich also nicht zu wundern, dass das Hotel nur drei solcher Ausfüge anbot. Warum also nicht einen Wagen mieten? Warum nicht in aller Freiheit diese Mondlandschaft (oder Marslandschaft, wie das Reisebüro meinte) erkunden? Nein, die Ferien waren noch nicht vorbei, in Wirklichkeit fngen sie gerade erst an. Mit mehr Energie, als ich ihm zugetraut hatte, schloss sich Rudi sofort dem Vorhaben an. Am nächsten Morgen gingen wir zu einem Autoverleih und mieteten für drei Tage einen Subaru. Und wohin jetzt ? Ich hatte eine Karte gekauft.

- 6

    I n Teguise gibt es einen Markt...«, schlug Rudi schüchtern vor. »Ich muss meinen Nichten etwas mitbringen.« Ich warf ihm einen fnsteren Blick zu. Ich sah schon vor mir, was es da geben würde, Marktstände und idiotisches Kunsthandwerk. Aber , es lag in Richtung der Plays de Famara – bei weitem der schönste Strand der Insel, wenn man den Broschüren glauben konnte, die im Hotel auslagen.
    Die Straße nach Teguise führte schnurgerade durch eine Wüste aus mal schwarzen, mal roten, mal ockerfarbenen Stei nen. Die einzigen Erhebungen waren die fernen Vulkane; ihre massive Erscheinung hatte etwas eigenartig Beruhigendes. Die Straße war leer, wir fuhren, ohne ein Wort zu sprechen. Alles wirkte wie in einem metaphysischen Western.
    In Teguise fand ich einen Parkplatz ganz in der Nähe des Marktes und setzte mich gleich ins erste Straßencafé; Rudi ließ ich allein zwischen den Marktständen schlendern. Es gab vor allem Korbwaren, Töpferei und timpks – eine Art kleiner, viersaitiger Gitarren, typisch für die Insel, wenn man wieder um den Hotel-Broschüren glauben konnte. Ich war ziemlich sicher, dass Rudi seinen Nichten Simples kaufen würde; ich an seiner Stelle hätte das getan. Was mich mehr interessierte, war das Publikum auf
    dem Markt. Keine Spießer mit Air-France-Schirmmütze und auch keine LKW-Fahrer aus der Auvergne. Die Menge, die sich um die Auslagen drängte, bestand im Wesentlichen aus Techno-Schlampen und Schicki-Micki-Hippies; fast wie in Goa oder Bali, hätte man meinen können, viel eher jedenfalls als auf einer verlorenen spanischen Insel im Atlantik. Abge sehen davon boten die meisten Cafés auf dem Platz billige E-Mail-Services und Internet-Zugänge an. Am Nebentisch saß ein groß gewachsener Bartträger in weißem Leinenan zug und studierte die Bhagavad-gita. Sein ebenfalls weißer Rucksack trug die Inschrift: IMMEDIATE ENLIGHTMENT – INFINITE LIBERATION – ETERNAL LIGHT«. Ich bestellte einen Tintenfschsalat und ein Bier. Ein junger Kerl mit langen Haaren und weißem T-Shirt, darauf ein bunter Stern, kam mit einem Packen Broschüren auf mich zu. Ich sagte sofort »No thanks«. Zu meiner Überraschung antwortete er auf Franzö sisch: »Die sind gratis, Monsieur. Ein paar amüsante Fragen, die Ihnen helfen sollen, Ihre Persönlichkeit zu entdecken.« Ich nahm eine. Eternal Light, in seine Studien versunken, wies ihn hochmütig ab. Ein rundes Dutzend war auf dem Platz unterwegs und verteilte Broschüren. Sie bekannten ohne Umschweife Farbe; auf der ersten Seite stand in Großbuch staben AZRAELISTISCHE RELIGION. Ich hatte schon von dieser Sekte gehört: Angeführt
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