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Lanzarote

Lanzarote

Titel: Lanzarote
Autoren: Michel Houellebecq
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Westen, ohne jemals
    aufzubrechen; auf dieser Insel regnet es praktisch nie. Die Ide enwelten, die den Okzident geprägt haben, sei es in Jurlria oder in Griechenland, sind unter einem makellosen, zermürbend blauen Himmel geboren worden. Hier sah es anders aus; der Himmel veränderte sich unablässig in all seiner Gegenwärtig keit. Zu dieser frohen Stunde waren die Räume des Bougain ville Playa menschenleer. Ich ging in den Garten hinaus und wanderte ein wenig zwischen den Pfanzen herum – vielleicht ja tatsächlich Bougainvilleen. In einem Käfg saß ein Papagei, der aus runden Augen wütend die Welt betrachtete. Das Tier war beeindruckend groß, – aber ich habe gehört, dass Papagei en manchmal bis siebzig, achtzig Jahre alt werden, ohne jemals mit wachsen aufzuhören; manche Exemplare erreichen einen Meter Größe. Zum Glück macht eine bakterielle Erkrankung der Sache dann ein Ende. Ich ging weiter und bog gerade in einen von blühenden Sträuchern gesäumten Weg ein, da hörte ich hinter mir »Eierkopp!«. Ich drehte mich um: Tatsächlich, es war der Papagei, der jetzt mit wachsender Erregung immer wieder »Eierkopp!« kreischte. Ich hasse Vögel, die mich meist gründlich zurückhassen; falls man das hier einen Vogel nen nen konnte. Egal, er sollte besser nicht so angeben, ich hatte schon welchen für weniger den Hals umgedreht.
    Der Weg schlängelte sich weiter zwischen den Blumen sträuchem einher und endete dann mit ein paar Stufen am Strand. Ein Skandinavier stand im Gleichgewicht auf den Steinen und voll
    führte langsame Tai-Chi-Chuan-Bewegungen. Das Wasser war grau, allenfalls grün, aber ganz sicher nicht blau. Die Insel mochte zu Spanien gehören, mediterran war sie keineswegs, das musste ich mir eingestehen. Ich ging hundert Meter am Wasser entlang. Das Meer war kühl und ziemlich bewegt. Dann setzte ich mich auf einen Haufen der großen Kieselsteine. Sie waren schwarz und offenkundig vulkanischen Ursprungs. An ders aber als die Felsen vom Timanfaya mit ihrem Gewirr von scharfen Kanten waren sie rund. Ich nahm einen in die Hand: eine sanfte Berührung, nichts Raues zu spüren. In den letzten dreihundert Jahren hatte die Erosion gute Arbeit geleistet. Ich legte mich hin und meditierte über den Zusammenstoß, der hier auf Lanzarote zwischen zwei elementaren Gewalten so direkt zu erleben war: Erschaffung durch den Vulkan, Zer störung durch das Meer. Eine angenehme Meditation ohne unmittelbare Absicht, ohne mögliche Schlussfolgerung; ich überließ mich ihr gute zwanzig Minuten lang.
    Lange habe ich beharrlich daran geglaubt, dass ich meine Urlaubsreisen dazu nutzen konnte, die Landessprache zu erlernen; auch jetzt, mit gut vierzig, hatte ich diese Illusion noch nicht ganz abgelegt und kurz vor der Abreise noch einen Schnellkurs Spanisch gekauft. Die hier praktizierte Methode durch Vorstellungsassoziation bestand darin, sich bestimmte Situationen einzuprägen; die Sätze, mit denen diese Situatio nen be
    schrieben waren, enthielten französische Wörter, deren Klang an das spanische Äquivalent erinnerten. So lautete der Merk satz für »Regal« (estanfe): »!maginez que let tantes sont assises sur 1‘eragere« – »Stellen Sie sich vor, die Tanten sitzen auf dem Regal«; der für »Schublade« (cajtfn): »Imaginez un tiroir plein de caron-cules de dindon« – »Stellen Sie sich eine Schublade voller Truthahn-Kehllappen vor«; der für »Gefahr« (peligro): »Imaginez qu‘un homme pelf, gros fonce sur vous: danger!« – »Stellen Sie sich vor, ein kahler, dicker Mann geht auf Sie los: Gefahr!«. Wenn das spanische Wort dem französischen sehr nah verwandt war, enthielt der Satz stets einen Torero, »die typisch spanische Figur«. So lautete der Merksatz für cero, »Null«: »Imaginez que les toreros, en fait, sont tous des zeros« – »Stellen Sie sich vor, die Toreros wären in Wirklichkeit alle samt Nullen.« Mochten die Vorurteile der Autoren noch die eine oder andere Merkwürdigkeit erklären, so entschuldigten sie keineswegs Beispielsätze, die zu Übungszwecken übersetzt werden sollten, a la „Meine Hunde sind unter der Bank« oder »Ihr Arzt möchte mehr Geld, Ihr Zahnarzt möchte mehr Kasse«. Für einige Zeit kann man derlei Absurditäten ja ganz amüsant fnden, doch ab einem bestimmten Alter wirken sie ermüdend, und ich schlief ein. Als ich aufwachte, stand die Sonne hoch am jetzt klaren Himmel; es war fast warm. Zwei technobunte Badetücher lagen ein paar Meter weiter. Ich
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