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Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Titel: Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
Autoren: Thilo Corzilius
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Herrschaft hätte man Gestalten wie uns sicherlich nicht innerhalb der Mauern geduldet. Das noch junge Königreich Hannover hingegen hatte nicht die Macht, seine moralischen Vorstellungen mit letzter Konsequenz durchzusetzen, zumal der völlig umnachtete Monarch Georg in England saß und kurioserweise dennoch beide Reiche regierte. Aber so weit entfernt schien der starke Arm des Thrones an Kraft zu verlieren. Las oder hörte man über die politischen Geschäfte der Welt, die uns umgab, konnte man leicht den Eindruck eines Hühnerstalls gewinnen, in dem jemand einen Büchsenschuss abgegeben hatte. Gerüchteweise sollte sich der Zustand des Königs in letzter Zeit so rapide verschlechtert haben, dass man bald mit der Krönung seines Sohnes rechnen konnte – dem allerdings trotz angeblicher geistiger Gesundheit wohl das Talent im Umgang mit Geld fehlte. Vom Regen ging es also in die Traufe, und man tat gut daran, wenn man, was den Broterwerb anging, sein eigener Herr war und sich obendrein auch noch in einem krisensicheren Geschäft verdingte. So wie wir.
    Wir bogen in die Osterstraße ein und konnten an der Ecke in Richtung Post schon das Ziel unserer Reise erkennen: den Eberskopf. Meiner Ansicht nach war das kein sonderlich gelungenes Wortspiel der Besitzer, der Eheleute Walther und Elsa Ebers. In dieser Schänke nebst Gasthof hatten Hagen, Salandar und ich uns seit etwa einem Jahr quasi häuslich eingerichtet. Zuerst hatten die Ebers uns für geisteskrank erklärt, nachdem wir ihnen von unseren beruflichen Tätigkeiten erzählt hatten. Wenn man ehrlich war, so taten sie es immer noch. Aber sie hatten akzeptiert, dass wir gutes Geld in die Kasse spülten. Fortan existierten für die Ebers also auch Geister, Kobolde und noch ganz andere Dinge.
    Wir entlohnten Jakob, der uns Rabatt einräumte, da wir ihm immerhin das räuberische Gesindel vom Leib gehalten hatten. Scherzend schleppten wir das Gepäck in unsere beiden Zimmer im hinteren Teil des Gasthofes, direkt neben einer kleinen Werkstatt, die wir ebenfalls gemietet hatten.
    „Aha“, krähte eine vertraute, aber nicht unbedingt heiß geliebte Stimme, als ich die Tür zu dem Zimmer aufschloss, das Hagen und ich uns heute wohl teilten. Salandar hatte Bedarf für ein Einzelzimmer angemeldet.
    Noch hielt meine gute Laune an, also zauberte ich eilends das pfiffigste Lächeln auf meine Lippen, das ich aufbieten konnte, ließ das Gepäck stehen und drehte mich zu Elsa Ebers um.
    „Hallo Elsa“, begrüßte ich sie.
    „Warum schleicht ihr euch so hier herein?“
    „Es könnte daran liegen, dass wir Schlüssel haben.“
    „Ihr könntet euch dessen ungeachtet anmelden.“
    „Ach, und solange draußen warten?“
    „Genau.“
    Ich verdrehte innerlich die Augen. Elsa war eine Ausgeburt des Gottes der unzufriedenen Raffzähne. Der hagere Walther hatte offenbar alle Raffinesse, mit der er ansonsten gesegnet sein mochte, in den Wind geschlagen, als er auf Brautschau gegangen war. Zwar wusste ich nicht viel über das Leben unserer beiden Gastgeber, aber zwei Dinge konnte ich mir zusammenreimen: Zum einen musste es finanziell gesehen immer relativ gut für die Familien der beiden gestanden haben, denn sonst fehlte einem sicherlich vieles von der Bildung, von der sie offensichtlich gekostet hatten. Außerdem hätten sie auch nach Ende des Krieges ohne schnöden Mammon niemals ein derart großes Haus in einer nahezu perfekten Lage erstehen können.
    Zum anderen konnte ihr Leben allerdings auch nicht so verlaufen sein, wie sie es sich gewünscht hatten. Kein Mann auf Gottes weiter Erde konnte sich den inkarnierten Streithahn als Frau, diese Manifestation der Unzufriedenheit an den Hals wünschen, obendrein gepaart mit einer im Alter zunehmenden Leibesfülle und einem Desinteresse an Körperpflege und scheinbar an ihrem Äußeren ganz allgemein. Ein Damenbart aus vereinzelten, wirren Härchen zierte ihr Kinn. Möglicherweise war sie auch zu geizig für einen Spiegel. Zu allem Überfluss waren sie auch noch kinderlos geblieben – natürlich Walthers Schuld –, was ihnen zwar in ihrer jetzigen gemütsmäßigen Verfassung gut zu Gesicht stand, aber auch dazu führte, dass die Ebers die natürliche Gelassenheit all derer vermissen ließen, die sich einen Hofstaat von kleinen Bälgern großgezogen hatten.
    Ich versuchte, diplomatisch zu bleiben.
    „Was hältst du von folgendem Vorschlag: Wir bezahlen weniger Miete, dafür klopfen wir jedes Mal vorher solange bei euch an, bis uns
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