Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Titel: Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
Autoren: Thilo Corzilius
Vom Netzwerk:
Instinkte geleitet? Vermehrten sie sich, und wenn ja, wie?
    Seit etwa einer Stunde versuchte Bünger, das Präparat in seinen Besitz oder zumindest in seine direkte Verfügbarkeit übergehen zu lassen, als ob wir in puncto Auffassungsgabe am unteren Ende der Skala dessen, was eben noch vertretbar war, rangierten. Er hatte offenbar immer noch nicht verstanden, dass wir nicht dumm waren.
    Salandar hatte mit konkreten Fragen begonnen.
    „Haben Sie so etwas schon mal gesehen?“
    „Nun“, doktorierte Bünger an einer Ausrede herum. „Nicht direkt.“
    Aha ...
    Wir gaben das gute Stück natürlich aus der Hand, aber nur, wenn wir es im Auge behalten konnten. Zwar wäre es kein Verlust gewesen, aber es widerstrebte uns – Salandar am meisten –, dem Professor den Schädel zu überlassen und nie wieder von ihm zu hören, als wären wir bloß Materiallieferanten. Wahrlich, man konnte dem gierigen Glanz in den Augen des Professors ansehen, dass, sobald er einmal in seine Verfügungsgewalt übergangenen war, wir den knöchernen Kopf niemals wiedersehen würden. Alles im Dienste der Wissenschaft natürlich.
    Es war alles so schäbig und durchschaubar ...
    Er müsse den Schädel aufsägen, um die Innenmaße der Gehirnhöhle zu sehen.
    Nur zu, wir würden dabei bleiben ...
    Aber er habe wichtige Termine, er würde es erst demnächst in Angriff nehmen können.
    Kein Problem, wir würden wiederkommen. Mit dem Schädel und zum passenden Termin ...
    Aber wir wären doch gar nicht vom Fach, versicherte er.
    Trotzdem nicht völlig unverständig, bejahten wir, deshalb hätten wir ihn ja auch aufgesucht.
    Unter Protest hatte Bünger schließlich die Schädeldecke entfernt – zumindest den Teil, der nach Salandars Schuss übrig geblieben war. Die wichtigen Termine schienen indes auf einmal gar nicht mehr so immens wichtig zu sein.
    Es sei ausnehmend interessant, wie groß der Schädelinnenraum sei, stellte Bünger voller Eifer fest.
    Bünger war höchstens Ende dreißig, mit markantem Kinn, wirrem, ja sogar leicht verwegen wirkendem, schwarzem Haar und ausgestattet mit einem kräftigen Kreuz. Obwohl er rein äußerlich eher weniger der allgemeinen Vorstellung eines verkopften Wissenschaftlers ähnelte, sprach er Unmengen an Fachlatein und gab sich ganz seiner Kunst hin.
    Schließlich konnte er manches vermuten, vieles aber nicht mit Sicherheit sagen: Der Schädel war keine Fälschung – das hatten wir ohnehin gewusst, danke sehr! Ja, es handelte sich um einen fleischfressenden Säuger, der verdächtige Ähnlichkeiten zu Hunden oder Wölfen aufwies. Vermutlich war das zugehörige Wesen in gewissem Umfang auch zu logischem Denken und Handeln fähig. Dank des ausgeprägten Raubtiergebisses sei davon auszugehen, dass ein Großteil des Verhaltens lediglich triebgesteuert vonstatten gehe. Für weitere Ergebnisse müsse er jedoch noch mehr Tests durchführen.
    Wir fragten, was er mit dem Werwolfskopf noch vorhabe. Doch darauf faselte er lediglich etwas von neuartigen Methoden, die strengster Geheimhaltung unterlägen. Also packten wir den Schädel kurzerhand wieder ein und verließen unter stürmischen Protesten des Professors die Universität.
    „Was für ein Wichtigtuer“, fluchte Salandar wenig später in der Kutsche. „Das waren alles Dinge, die jeder halbwegs belesene Mann hätte von sich geben können.“
    Ich grinste. Es gefiel mir, Leute von ihrem hohen Ross zu stürzen. Noch mehr gefiel es mir allerdings, wie Salandar sich aufregte, denn er war gut darin.
    Hagen beugte sich aus dem Fenster und rief dem Kutscher zu: „Halt doch bitte einmal kurz an!“
    Während Jakob der Bitte mit einem entnervten Stöhnen nachkam, sprang Hagen mit dem Schädel unter dem Arm aus der Kutsche und begann, zur Uferböschung der Lahn zu stapfen.
    „He“, rief Salandar ihm hinterher, aber es war zu spät. Ein Plumpsen verriet uns, dass Hagen das anatomische Objekt der Begierde in hohem Bogen auf den Grund des Flusses verbannt hatte.
    „Warum hast du das getan?“, fauchte Salandar, als sich der junge Mann mit wehendem Haar wieder der Kutsche näherte. Dieser zuckte die Achseln.
    „Kein Schädel, kein Grund zur Aufregung“, stellte er erschöpfend fest, und Salandar schwieg beleidigt.
    Ich stopfte mir eine Pfeife und lehnte mich zurück, um beim Geschaukel des Pferdegespanns genussvoll die Augen zu schließen und die Landschaft im Dunst des Tabakrauchs an mir vorüberziehen zu lassen.

    Es waren elende Tage in der Kutsche. Im Gegensatz zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher