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Landleben

Landleben

Titel: Landleben
Autoren: John Updike
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hatten brau-
ne Beine, weil sie den Sommer über auf dem Spielplatz
waren und genauso schnell laufen konnten wie er. Sie woll-
ten bei allen Spielen gewinnen – Dachball und Hockey
und Chinesisches Damespiel. Ginger Bitting, die in seine        Klasse ging und in der Second Street wohnte, baumelte oft
kopfüber mit an den Knien abgeknickten Beinen am Klet-
tergerüst, während ihre dünnen, sommersprossigen und
mit weißlichem Flaum bedeckten Arme bis zum staubigen
Grund reichten und ihr langes Haar, rot wie Tonerde und
fein wie der Staub, zwischen ihren Armen herabhing. Falls
ihre Beine nachgaben, würde sie fallen und konnte sich das
Genick brechen, so wie der Junge im Sommerlager, als der
arme Danny Hoffman Aufsicht geführt hatte. Aber Ginger
passierte so etwas nicht. Ginger mit ihren Sommerspros-
sen und den Augen wie grünes Glas, durch das ein Licht
schien, war das waghalsigste, das drahtigste Mädchen in
seiner Klasse auf der Grundschule, die Schnellste beim
Rennen, die Beste im Singen und die Mannschaftsführerin
der Mädchen, wenn sie in der Pause gegen die Jungen Fuß-
ball spielten. Schnappte sie ihm auf dem Nachhauseweg
seine Mütze oder seine karierte Büchertasche weg, konnte
er sie erst einholen, wenn sie ihn ließ. Auf der Schaukel auf
dem Spielplatz schwang sie sich hoch hinauf, die Ketten
knackten und zerrten, rüttelten an dem Rohrgestell und
zogen sie zurück, wenn Ginger aus der Horizontale zu fal-
len drohte, und doch nahm sie neuen Schwung, die brau-
nen Beine steif vor sich hingestreckt. Er sah zu, wie ihre
Füße in den rissigen, abgestoßenen Lederschuhen in den
Himmel stießen. Damals trug er im Sommer knöchelhohe
Sneakers, aber die Mädchen hatten richtige Schuhe an, mit
Schnürbändern und glatten Sohlen.
    Zum Spielplatz kam man über einen schmalen Gang
hinter Owens Haus, weiter auf einem Pfad zwischen zwei
Maisfeldern und dann auf einem grasüberwachsenen Weg
zwischen den Tribünen des Baseball-Felds und einer Rei-
he Kirschbäume, die dort wild wuchsen. Ginger kletterte         oft mit ihren rutschigen Schuhen auf diese Bäume, höher
als Owen es je gewagt hätte. Er sah ihr zu, wie sie empor-
klomm, aber wenn er in ihre Shorts blickte, sah er nie et-
was, das dem komplizierten Arrangement der Zeichnung
auf der Wand des Geräteschuppens ähnelte. In der ruhigen
Stunde, wenn die Schatten länger wurden und die Auf-
sichtsperson und die anderen Kinder nach Hause gegangen
waren und die Geräte – die Hockey-Stöcke und Pingpong-
schläger und Halmabretter – wieder eingeschlossen waren,
experimentierte Owen am Klettergerüst, ließ sich an den
Armen und geknickten Knien herabhängen und wollte sich
dazu bringen, die Hände loszulassen. Aber er schaffte es
nie. Falls er fiel und sich das Genick brach, würde er die
ganze Nacht so daliegen, Dunkelheit und Morgendunst
würden ihn bedecken, und erst am nächsten Tag würde
man ihn finden, wenn um neun Uhr die Aufsichtsperson,
die herrische, pedantische Miss Mull, kam, die Flagge hiss-
te und mit den versammelten Kindern die Pledge of Alle-
giance sprach.
    Ginger war von Satelliten umgeben, obwohl die Mäd-
chen um sie herum sich selbst vielleicht gar nicht so sahen.
Jedes der Mädchen hielt sich wahrscheinlich, obwohl das
schwer zu glauben war, selbst für den Mittelpunkt des Uni-
versums, so wie Owen auch. Es gab eine Menge Barbaras –
Barbara Emerich, Barbara Jane Gross, Barbara Dolinski –,
dazu Alice Stottlemeyer und Georgene King und Carolyn
McManus und Grace Bickta, die alle in Owens Straße oder
in den Straßen darüber wohnten, sich auf den Gehwegen
einfanden und gemeinsam zur Grundschule und wieder
nach Hause gingen. Alice Stottlemeyer, kleiner als die an-
deren und, wie Owen, mit einer Brille auf der Nase, war die
Erste, die Owen mit einer geheimen Bedeutung küsste,                   eine Art Drücken mit dem Mund, fest, aber weich, als sie
bei irgendeiner Geburtstagsfeier, nicht Owens, Flaschen-
drehen spielten. Seine eigenen Geburtstagsfeste waren,
wenn seine Mutter eines ausrichtete, normalerweise eine
Katastrophe, sodass er weinend nach oben in sein Zimmer
lief, weil seine Gäste mehr Spaß hatten als er, das Geburts-
tagskind, das nicht genau die Geschenke bekommen hatte,
die es sich erhofft hatte. Seine Mutter wollte das Flaschen-
drehen nie erlauben. Ihre Brillen klickten aneinander, sei-
ne und die von Alice, bei dem kleinen Kuss, während die
anderen Kinder juchzten und kreischten
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