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Landleben

Landleben

Titel: Landleben
Autoren: John Updike
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und plötzlich ver-
stummten, als sie sahen, dass Owen und Alice sich ernst-
haft küssten, und alles in einer Sekunde. Und schon drehte
sich die Flasche weiter, in der Mitte des Kreises, den sie
bildeten, auf dem Linoleumfußboden oder dem gestriche-
nen Betonfußboden eines Kellers, in dem sie feierten und
der zu einem Hobbyraum oder Partykeller umgewandelt
worden war.
    Das war einer der vielen sozialen Unterschiede, die sich
kreuz und quer durch Willow zogen – der Unterschied zwi-
schen Leuten, die in Freizeiträume umgewandelte Keller
hatten, mit Wandverkleidung und Teppichen auf dem Fuß-
boden und bequemen Sesseln, und denen, die wie Owens
Familie, die Rausch-Mackenzies, noch Keller mit einer
düsteren Kiste schmutziger Kohlen und spinnwebenüber-
zogenen Regalen voller Vorräte in Einmachgläsern hatten,
und eine mit Farbe gesprenkelte alte Waschmaschine in der
Form eines Bottichs, an dem eine Mangel aus Hartgummi
befestigt war. Die feuchte Wäsche schob sich zwischen den
zwei Zylindern aus weißem Gummi hervor wie riesige, ver-
schrumpelte Zungen und fiel langsam in den geflochtenen
Wäschekorb. Als Owen noch jünger war, noch bevor Alice Stottlemeyer ihn geküsst hatte, als er noch nicht neidisch
war auf Familien mit bequemen Sesseln und Dartboards
und auf Sperrholztischen aufgebauten elektrischen Ei-
senbahnen im Keller, war er verzaubert gewesen von dem
kraftvollen, rhythmischen Vor-und-zurück-Schlagen der
laufenden Waschmaschine, das eine Menge Seifenblasen
aufrührte, und von dem Geruch der Seifenflocken, der so
stark war, dass er ihm das Gehirn und die Nebenhöhlen
zu putzen schien, und von dem holzigen, frischen Duft
des Weidenkorbs, dessen Griffe so weit auseinander wa-
ren, dass er anfangs nicht beide zugleich anfassen konnte.
Es war vorauszusehen, dass er eines Tages die Finger in
die Mangel steckte. In einem raschen Aufwallen spürte er,
wie der unerbittliche Druck zu seinem Handgelenk hin-
aufkletterte, und er schrie vor Angst laut auf. Es war einer
dieser Augenblicke, in denen der hungrige Abgrund sich
unter der sonnigen, täglichen Oberfläche der Dinge auftat,
ähnlich wie bei dem Pistolenschuss vorm Morgengrauen,
aber nicht so schlimm: Ein Sicherheitsmechanismus ließ
die Zylinder auseinander springen, noch bevor seine Mut-
ter um ihn herum eilen und den Hebel betätigen konnte.
Wie so oft in den Wirrnissen der Kindheit vermischte sich
das Entsetzen der Mutter, der Schrecken, der ihr Gesicht
im Kellerlicht der nackten Glühbirne weitete, und danach
ihr Schimpfen mit dem Augenblick seines Schmerzes, so
als hätte sie den Schmerz verursacht. Trotzdem blieb er ein
Bewunderer des Vorgangs, wie die Wäsche sich durch die
Mangel bewegte, in den Korb und die Kellertreppe hin-
auf und durch die Eisentür in den hinteren Garten, wo die
weißen Bettlaken um ihn herumhingen wie sich bauschen-
de Wände einer fragilen Burg, ein Dschungelpalast, den er
ganz allein erforschte. Bei wechselndem Wind lehnte sich       der Pfosten um, in eine andere Richtung, und sein Gesicht
kam plötzlich in Berührung mit dem ihn überragenden,
feuchten, von Licht durchfluteten Tuch.
    Seiner Momma oder Grammy Wäscheklammern zu rei-
chen war eine seiner ersten Möglichkeiten, sich nützlich
zu machen. Der kleine Wäscheklammerkorb roch nicht
nach frischen Weidenruten, er war dunkel, weil er Jahr um
Jahr von Frauenhänden gehalten worden war, seit der Zeit
vor Grammy, die ihn geerbt hatte, ein aus Fasern geform-
tes Behältnis, hart wie Ton, aus «Süßwassergras», gefertigt
von Sklaven oder Indianern, Owen wusste nicht genau,
von wem. Der Korb hatte das dumpfe Dunkel uralter Zei-
ten, als es noch keine Autos und Kinos, keine Radios und
Glühbirnen gab, lange bevor Owen geboren wurde. Er war,
wenn man ihn ergriff, ein wenig schwerer und steinartiger,
als man erwartete, während die Wäscheklammern etwas
leichter waren. Mir ihren beiden Beinen und dem flachen
Knauf am oberen Ende, wie eine Matrosenmütze, lagen sie
glatt in seiner Hand und konnten mit Buntstiften in kleine
Männer mit starrem Blick oder mit lachenden Gesichtern
verwandelt werden, die Matrosenmützen und blaue Män-
tel trugen. Man konnte sie Kunststücke vollführen lassen
und sie zusammenstecken, wie Akrobaten.
    Zu schade, dass Alice nicht hübscher und größer war
und dass sie, wie Owen, in der Schule gute Noten bekam.
Sie war klug, und das machte sie langweilig. Er fühlte sich
zu den ruppigen, wagemutigen Mädchen aus Familien hin-
gezogen, auf
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