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Landleben

Landleben

Titel: Landleben
Autoren: John Updike
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nicht
mehr ganz dunkel, die Bäume im Garten waren als Silhou-
etten erkennbar, ihre Formen ragten in das gleichmäßig
graue, zum Himmel hin leicht gelblich braune Licht, bevor
die Vögel zu zwitschern anfingen. Die Straßen waren still,
kein Verkehr, nicht einmal ein Farmfahrzeug. Später hörte
er eine Sirene, und noch später die Nachricht, von seinem
Vater beim Frühstück berichtet – er hatte auf der Straße
schon die Neuigkeit in Erfahrung gebracht –, dass ein jun-
ger Mann im Haus der Hoffmans, zwei Häuser hinter dem  Haus neben dem unbebauten Grundstück, sich mit einem
Armeerevolver, einem Colt .38, den Wes Hoffman aus sei-
ner Zeit im Großen Krieg aufbewahrte, erschossen hatte.
Danny Hoffman war noch nicht zwanzig, aber bei einem
Sommerlager hatte ein Kind, das unter seiner Aufsicht
stand, einen Kopfsprung ins flache Wasser gemacht und
sich das Genick gebrochen, und das Verantwortungsgefühl
hatte Danny verfolgt, obwohl es schon im vorigen Sommer
passiert war. Er war nie wieder derselbe gewesen, er blieb
im Haus und hörte sich Hörspielserien im Radio an und
hatte aufgehört, sich Arbeit zu suchen.
    Das war also die Erklärung. In den zwölf Jahren der De-
pression und des Zweiten Weltkriegs, also von 1933 bis 1945,
war es das dramatischste Ereignis in Owens Nachbarschaft.
Die Frau auf der anderen Straßenseite, Mrs. Yost, hatte
in ihrem vorderen Fenster eine Flagge mit fünf Sternen,
aber alle fünf Soldatensöhne kehrten in bester Verfassung
zurück. Skip Potteiger schwängerte Mary Lou Brumbach
von nebenan, als sie erst siebzehn war, aber dann heiratete
er sie, und somit war alles wieder in Ordnung – und am
D-Day war das Baby schon in einem Wagen, den Mary Lou
auf dem Weg zum Acme-Supermarkt und zurück, über
die flachen Rinnen, in denen das Wasser von den Dächern
zum Rinnstein floss, und über die Gehwegplatten schob,
die von den Wurzeln der Rosskastanien angehoben wur-
den und einen stolpern ließen, wenn man mit Rollschu-
hen darüber fuhr. An heißen Sommerabenden drang der
Lärm von Familienstreitigkeiten aus den mit Fliegengit-
tern versehenen Fenstern der überfüllten Reihenhäuser
auf der anderen Straßenseite herüber- der erhöhten Seite,
zu der Zementstufen in den gefährlich nach außen geneig-
ten Stützmauern führten. Aber es gab keine Scheidungen, soweit Owen sich erinnern konnte. Die Stimmen wurden
erhoben, Geschrei und Türen seh lagen hallten durch die
Nachbarschaft, aber Scheidungen gab es anderswo, in Holly-
wood und in New York, und sie waren tragische Skandale,
denn sie führten zu dem, was niemand und mit Sicherheit
kein Kind wollte: ein kaputtes Zuhause. Schon der Aus-
druck hatte einen sündigen, schrecklichen Klang und den
aschenen Geschmack des Unglücks, wie die zerbombten
und rauchenden Häuser, die in den Wochenschauen von
Fox Movietone im Scheherazade, dem Lichtspieltheater
im Ort, gezeigt wurden. Die Welt war voller Zerstörung
und Übel, und allein die Vereinigten Staaten, so schien es,
konnten sie wieder in Ordnung bringen. Das Land war im
Krieg, und in Owens Phantasie war das unbebaute Grund-
stück vor seinem Fenster ein von Unkraut überwucherter
Bombenkrater.
    Die ursprüngliche Weide, von der Willow den Namen
hatte, lebte noch und wurde wie ein alter Würdenträger
umhegt, mit Injektionen von Pestiziden und Düngemit-
teln, die in ihre Wurzeln gegeben wurden, nachdem man
mit einer Brechstange Löcher hineingetrieben hatte; sie
stammte aus der Zeit, als dort eine Papiermühle mit einem
Wasserrad gewesen war, und ein Teich mit Forellen und
eine Rennbahn, auf der Trabrennen stattgefunden hatten,
bevor auf dem ebenen, niedrig liegenden Gelände nörd-
lich des Pike ein Netz von Straßen angelegt wurde. Owens
Haus – eigentlich nicht Owens Haus, auch nicht das seiner
Eltern, sondern es gehörte den Eltern seiner Mutter, Isaac
und Anna Rausch – war eines der älteren und größeren an
der Mifflin Avenue; sein Großvater hatte es gekauft, als
er gedacht hatte, er sei reich vom Tabakanbau im Ersten
Weltkrieg. Er verkaufte seine Farm und zog in die zehn     Meilen entfernte neue, beliebte Gemeinde Willow. Als
dann die Depression kam, schrumpften seine Ersparnisse
zusammen, und seine Tochter zog mit ihrem Mann und ih-
rem Kind ein. Das eine Paar hatte ein Haus, das andere die
Möglichkeit, Geld zu verdienen. Owens Vater war Buch-
halter bei einer der Strickwarenfabriken in Alton. Owens
damals noch schlanke Mutter mit dem kastanienroten Haar
arbeitete in
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