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Land der Sehnsucht (German Edition)

Land der Sehnsucht (German Edition)

Titel: Land der Sehnsucht (German Edition)
Autoren: Tamera Alexander
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genau wusste, hatte ihn etwas getrieben, Jahr für Jahr immer wieder hierher zu kommen.
    Er kannte diese Stelle genauso gut, wie er von hier bis nach Kalifornien und hinauf nach Oregon jeden Pfad, jeden Berg, jeden Bach und jedes trockene oder noch Wasser führende Flussbett kannte. Er hatte die zweitausenddreihundert Kilometer von Missouri zu den Siedlungsgebieten im Westen so oft zurückgelegt, dass er sich am ehesten zu Hause fühlte, wenn er unterwegs war. Wenigstens war es so gewesen.
    Im Laufe der Zeit hatte sich jedoch einiges verändert. Er hatte sich verändert.
    In den letzten dreizehn Jahren, in denen er als Treckführer Planwagen in den Westen geführt hatte, hatte er jedes Mal an dieser Stelle Halt gemacht, ohne dass die Familien, die unter seiner Führung in den Westen zogen, den Grund dafür geahnt hatten. Trauer war etwas Privates. Nichts, das man konservierte und um sich herum zu einem Schrein aufbaute, wie er es bei anderen erlebt hatte, wenn sie einen lieben Menschen verloren. Trauer war ein ernst zu nehmender Gegner, dem man, ohne zu zögern, mit dem nötigen Maß an Respekt frontal entgegentreten musste. Sonst fand ein Mensch vielleicht nie seinen Weg durch das Tal der Trauer auf die andere Seite, wo Trauer weniger ein Feind als vielmehr ein geachteter, vertrauenswürdiger Lehrer war.
    Er hob eine Handvoll Erde auf und ließ sie durch seine Finger gleiten.
    Langsam stand er auf. „Seit Jahren vergeht kein Tag, Mary, an dem du nicht in meinen Gedanken genesen wärest. Ich würde mir wünschen, dass ich dich wieder festhalten könnte, dass wir … uns noch einmal lieben könnten wie in der Nacht, in der unser Sohn entstand.“ Er verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein und seufzte. Ohne das verblasste Foto auf einer dünnen Kupferplatte, das tief in seiner Satteltasche vergraben war, würde er sich inzwischen wahrscheinlich nicht einmal mehr an die Gesichtszüge seiner Frau erinnern. Die Zeit löschte sogar das aus, was man früher für unvergesslich gehalten hatte.
    „Manchmal versuche ich, mir vorzustellen, wo du und Aaron seid, was ihr macht … wie er jetzt aussieht. Ob er ein fast schon erwachsener Mann ist, oder ob er immer noch der kleine Junge ist, den ich auf den Schultern getragen habe.“ Er schaute hinter sich und ließ die Bilder der Ereignisse an jenem schicksalhaften Tag Revue passieren.
    Er hatte längst die Schuldgefühle losgelassen, weil er nicht hatte verhindern können, dass die Seile abgerutscht waren. Dadurch war der Planwagen ungebremst den Hügel hinuntergerast und hatte die zwei Menschen, für die er gern sein eigenes Leben gegeben hätte, in den Tod gerissen. Das Leben war nicht immer fair, und ein Mensch wurde nicht immer für seine Arbeit belohnt. Man lebte nicht achtunddreißig Jahre auf dieser Erde, ohne das irgendwann gelernt zu haben.
    Zwei Gedanken hatten ihn in seiner Trauer getröstet. Erstens der Glaube, dass nach diesem Leben etwas Besseres wartete. Und zweitens das Vertrauen, dass der Abschied, den man auf dieser Erde nehmen musste, nicht für immer galt.
    Jack atmete den Duft des Präriegrases und des Sonnenscheins ein und bemerkte einen durchdringenden Moschusgeruch im Wind. Zur Sicherheit hob er das Gewehr vom Boden neben sich auf und ließ seinen Blick über die niedrigen Sträucher gleiten, die ihn umgaben. Die graue Stute, die er in der Nähe angebunden hatte, stellte die Ohren auf, zeigte aber keine Spur von Unruhe.
    Nach einem langen Augenblick hob Jack den Blick zum Himmel. Seine Stimme blieb leise. „In den fünfzehn Jahren, seit du und Aaron nicht mehr da seid, hat sich so vieles geändert, Mary. Es ist nicht mehr so wie damals, als wir in den Westen zogen. Es gibt jetzt unterwegs Forts und Postkutschenstationen. Kilometerlange Telegraphenleitungen ziehen sich über die Prärie, so weit das Auge reicht.“
    Wenn es leise genug war, konnte er manchmal das Summen hören, wenn Nachrichten über die gedrehten Kupferdrähte von einer Seite des Landes zur anderen geschickt wurden.
    Man hatte den Eindruck, als ließe einem die Union Pacific Railroad in diesen Tagen kaum noch Luft zum Atmen. Von Missouri nach Kalifornien zu kommen hatte früher vier lange, mühevolle Monate gekostet. Jetzt brauchte man mit dem Zug nur noch zwei Wochen. Viele Eisenbahnlinien, wie beispielsweise die in Santa Fe, hatten ihre Gleise direkt über die alten Wege und Pfade gebaut und ersetzten sie für immer. Das alles zusammengenommen, auch wenn es bestimmt richtig und gut
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