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Lallbacken

Lallbacken

Titel: Lallbacken
Autoren: Henning Venske
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nicht, das ist viel zu teuer, so was können sich die Sender angeblich kaum noch leisten. Aber eine Zensur gibt es selbstverständlich nicht, es werden keine Themen verboten, solange sie »gut ankommen«. Auch die sogenannte »Schere im Kopf« kommt eher zum Einsatz bei Leuten ohne Kopf. Entscheidend ist allein »die Quote«.
    Im Kampf um die Einschaltquote infantilisieren die »Privaten« den Luftraum mit Zoten aus der Comedy-Szene, vorgetragen von sexistischen Spießern, einem von Kosmetik- und Textilindustrie propagierten Frauenbild, über Wochen obszön gecasteten singenden Eintagsfliegen, und der tiefste Sinn des Privatfernsehens offenbart sich im Teleshopping.
    Wer es satthat, einem Tauchsieder beim Entkalken zuzugucken, kann ohne nennenswerten Niveauverlust zu den Öffentlich-Rechtlichen wechseln: entweder ins ZDF – das täglich mehrmals die Frage aufwirft: Wer sieht eigentlich besser, wenn er sich völlig sinnentleert ein Auge zuhält? – oder zur ARD. Dort vor allem spielt die Musik, die das politische Rollback begleitet: singende Bratwürste, die aussehen, als seien sie aus einer thüringischen Irrenanstalt ausgebrochen, jodelnde Tütensuppen, ganze Schweinehälften in Lederhosen und Holzfällerhemden, trompetende Bratwürste, das Wurstzipfelgesicht aus der Dauerwelle herausgemeißelt, dazu tanzender Wurstsalat, völkisch abdampfend und rhythmisch beklatscht. Die Alternative sind Quizsendungen, manchmal sogar Mannschaftswettbewerbe, »Nonnen gegen Nymphomaninnen« und dergleichen. Auch mit diversen Rankings warten die Unterhalter auf. Dabei kommt dann raus: Der zehntbeste Deutsche ist Karl Marx. Ferner Fernsehspielschnulzen in seifiger Gartenlaubendramaturgie, in denen Christine Neubauer und Veronika Ferres zusammen noch weniger schauspielerische Substanz anzubieten haben als Ruth Leuwerik in ihren schlechtesten Filmen der fünfziger Jahre allein, während O. W. Fischer unter dem Namen Errol Sander auftritt.
    Serien, Telenovelas und Hab-die-Polizei-lieb-Schmonzetten quellen in die Stuben, und das mimische Potential sämtlicher Darsteller reicht mal gerade für eine Operettensaison am Stadttheater Wunsiedel. Das Publikum hat sich gemütlich in der Pathologie des »Tatort« eingerichtet, Industrieschauspieler – durch Tausende von Wiederholungen zu kitschigen Kommissarparodien verkommen – sprechen alle auf demselben für »cool« gehaltenen Ton Sätze von absolut zuverlässiger Austauschbarkeit. Der Beruf eines ernstzunehmenden Regisseurs wurde schon vor Jahren abgeschafft, und es wäre für alle Beteiligten besser gewesen, hätte Dieter Wedel beizeiten eine Lehre bei Udo Walz angefangen.
    Ein echter Bringer in der Medienbranche ist Adolf Hitler. Mit Hitler wurden nicht nur großartige Gewinne erwirtschaftet, sondern er ist den Lesern, Hörern, Zuschauern von Presse, Funk, Film und Fernsehen auch menschlich nähergebracht worden. Die Deutschen wissen heute, wie er Nudeln aß und wie er den Müll runterbrachte. Nachmittags, an der Kaffeetafel, hat er sich immer anständig benommen. Wenn man mal von seinen politischen Fehlern absieht, könnte man sich nach allem, was das deutsche Volk von ihm privat erfahren hat, durchaus vorstellen, dass er heute ein ganz normaler schwarz-grün-gelber-rosa Ortsvereinsvorstand wäre.
    Ganz elend ist der Versuch der Sendeanstalten, vorzutäuschen, man diene demokratischer Meinungsbildung. Dann platzieren sich professionelle Nebelwerfer im Licht der Talkshows, Politiker und Experten neben Schauspielern, Sportlern oder Sängern, eingerahmt von Barbara Schönebergers Milchdrüsen und Rainer Callmunds Speckwülsten, aufgebrezelte Promis, die ihre Kompetenz aus ihrer Prominenz beziehen. Und schafsäugige Moderationsbeamte nicken Floskeln, Phrasen und Klischees demütig ab. Das ist dann Kult.
    Die vierte Gewalt liegt mittlerweile so tief im Koma, dass sie es für notwendig erachtet, den Zuschauern das gähnende Nichts mitzuteilen. Sabbelblasen rund ums Nichts. Gern auch mit Kreischen und Johlen. Am liebsten mit Promis – die kosten wenig, und manche bezahlen sogar, um »in die Sendung« zu kommen.
    Dann passiert wirklich etwas. Etwas Lähmendes.
    Aber der Amoklauf eines Siebzehnjährigen lässt auch die Event-Idioten in den Medien Amok laufen. Ein Großaufgebot an Journalisten liefert Spekulationen und Belanglosigkeiten im Minutentakt, obgleich es nichts Neues zu berichten gibt. Keiner weiß etwas, doch jeder hat dazu etwas zu sagen. Politikerinnen und Politiker stammeln
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