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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle
Autoren: Das fremde Kind
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über einen Mord in
Tomelilla gehört hatte. Doch er hatte kaum hingehört.
    Als er jedoch erfuhr, dass es sich
bei den Toten um Herman und Signe handelte, verfestigte sich in seinem Kopf ein
Gedanke: Er würde an den Ort seiner Geburt zurückkehren müssen.
     
    D ie Straße vor
der Würstchenbude ist nahezu menschenleer. Die Sonne brennt heiß und erzeugt einen
leichten Dunst, der die Luft flimmern lässt. Das Schaufenster des alten Kurzwarenladens
hat jemand eingeschlagen; die Scheibe ist geklebt und mit Karton abgedichtet. Das
Geschäft nebenan steht leer. Dort hatte damals der Blinde seinen Laden. Verblichene
Postkarten, verstaubtes Porzellan und Glasmurmeln. «Diese hier ist magisch», murmelte
er immer, wenn er ein besonders kostbares Exemplar zwischen den Fingerspitzen hin-
und herrollte, seinen getrübten Blick hinter schwarzen Brillengläsern verbergend.
Es kam vor, dass Konrad auf dem Weg hinaus eine Murmel mitgehen ließ.
    Unter der Kastanie vor dem leerstehenden
Laden sitzen zwei Frauen mit den gleichen hellrosafarbenen Kinderwagen auf der
Bank und unterhalten sich. Ihre gedämpften Stimmen, die sich zwischen den Hauswänden
ausbreiten, klingen in der Stille wie ein entferntes Echo. Ein hagerer älterer Mann
stolpert um die Ecke, tief über seinen Rollator gebeugt.
    Konrad wischt sich mit dem Hemdsärmel
den Schweiß von der Stirn und wirft einen verstohlenen Blick auf den Kebab, der
in der Dönerbude vor sich hin brutzelt. Ist offenbar also doch was Neues ins Dorf
gekommen, denkt er. Damals, als noch die aufgemotzten Chevis und Volvo Amazon der
Halbstarken abends aufgereiht vor Bertils Laden standen und das Rio Spaghettiwestern
mit Clint Eastwood zeigte, da war der angesagteste Imbiss noch eine ordentliche
Portion Kartoffelbrei mit eingelegten Gurken und Kakaotrunk von Pucko.
    Er nickt dem Mann drinnen zu und kauft
sich ein Eis.
    Ohne näher darüber nachzudenken, lässt
er den Wagen stehen und schlendert in Richtung Marktplatz. Das Eis schmeckt eklig
süß, er wirft es in den nächsten Papierkorb. Kurz vor dem alten Fußgängertunnel
unter der Eisenbahn, wo sich im Winter immer die Penner trafen, hat jemand eine
Kneipe aufgemacht. Die Tür steht offen, doch hinter dem Tresen ist niemand zu sehen.
    Um den Marktplatz herum herrscht etwas
mehr Leben und Treiben. Die Sparkasse. Das Hotel. Systembolaget, das staatliche
Alkoholgeschäft, und ein Supermarkt der Kette Konsum. Die Statue von Carl Milles
mit dem Springbrunnen, in den die Jungs aus dem Ort im Sommer regelmäßig Waschmittel
schütteten, sodass der Schaum überlief. Alles noch genauso wie damals. Allerdings
steht hinter dem Marktstand jetzt ein Ausländer und verkauft importiertes Obst.
    Konrad muss an Agnes denken.
    Sie gehörte nie dazu. So viel kapierte
er schon als Teenager. Damals kamen ja nicht gerade viele Leute von außerhalb
in den Ort. Polen fielen auf, fast ebenso wie die Zigeuner, die im Frühjahr immer
ihr Lager auf dem Campingplatz am Välabach aufschlugen.
    Sie hat es bestimmt nicht leicht gehabt,
Agnes.
    Er nimmt ihren Namen in den Mund, vorsichtig.
    «Agnieszka.»
    Er bemüht sich, ein Bild von ihr wachzurufen.
Gräbt tief in seiner Erinnerung. Doch ihr Gesicht will nicht so recht Form annehmen,
und irgendwelche Fotografien, die er zu Hilfe nehmen könnte, hat er nie besessen.
Er sieht sie von schräg unten, als würde sie sich über ihn beugen. Einige Strähnen
ihres schwarzen Haars fallen ihr über die Wangen. In ihren Augen liegt eine Klarheit,
eine Freundlichkeit, die ihn sehnsüchtig werden lässt. Sie lächelt mit dem Mund
und mit ihren wehmütigen Augen, sie strahlt Wärme aus.
    Entspricht das Bild von ihr der Realität,
oder hat es sich nur, vor langer Zeit bereits, in seinem nach Liebe dürstenden
Hirn geformt?
    «Agnes», so nannten sie sie, und so,
das begriff er nach und nach, sollte auch er sagen, wenn jemals die Sprache auf
sie käme. In Hermans und Signes Haus sprach man nicht gerne von ihr. Und wenn jemand
sie versehentlich doch erwähnte, wurde es schnell peinlich. Man wechselte stillschweigend
Blicke und begann, von etwas anderem zu reden.
    Für die Leute im Ort war sie immer
nur «die Polin». Aber wenn Konrad ganz allein war, kam es vor, dass er leise flüsterte,
wie um das Wort auszuprobieren: «Mama.»
     
    A ls er an der
Kreuzung steht und seinen Blick über den Marktplatz schweifen lässt, überkommt ihn
eine Unschlüssigkeit. Wo soll er anfangen?
    Wahrscheinlich war es eine idiotische
Idee zurückzukommen.
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