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Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich

Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich

Titel: Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
Autoren: Rainer Wekwerth
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Richtung. Vorwärts.
    Sie dachte an León, während ihre Finger sich weitertasteten und die Füße sich noch mal abstießen. In winzigen Etappen. Sie sah sein schiefes Grinsen vor ihrem geistigen Auge, seine zahllosen Tätowierungen, die sie schon so oft betrachtet hatte. Und dann war da dieser verletzliche Blick, als er erkannt hatte, dass er sie diesmal nicht würde retten können. Und dieses Bild gab ihr Kraft. Mary verdoppelte ihre Anstrengung und wunderte sich, woher sie noch die Kraft nahm. Ein weiteres großes Stück des Weges legte sie zurück, aber es war nicht genug. Nahm diese Röhre denn kein Ende? Es würde nicht reichen. Noch immer kein Licht. Nur eiskalte Finsternis, die unaufhaltsam in ihre Glieder drang und sie steif und unbeweglich machte.
    Gib nicht auf, schimpfte sie stumm mit sich selbst.
    Ihre Lungen brannten. Der Druck darin war übermächtig, es rauschte in ihren Ohren und langsam wurde ihr schwindelig.
    Ich halte es nicht mehr aus. Ich muss atmen .
    Nein! Nicht den Mund öffnen. Du wirst sterben.
    Ich muss. Ich muss. Ich muss.
    Mary stieß die verbleibende Luft aus ihren Lungen.
    »Müssten wir von ihr nicht langsam ein Zeichen bekommen?«, wagte Jenna, die Stille zu durchbrechen.
    León hob den Kopf an. In seinem Blick lag alle Verzweiflung, die ein Mensch empfinden kann. Seine eigene Lage, seine schwere Verletzung schien er vergessen zu haben. In Jennas Augen hatte seine Wunde von Anfang an viel schlimmer ausgesehen, als León es hatte durchblicken lassen. Schon vorhin war ihr notdürftiger Verband komplett blutdurchtränkt gewesen, das T-Shirt hing schwer herab. In der Tat wäre León am Ende, wenn sie hier nicht bald herauskämen.
    »Halt die Klappe!« Leóns Stimme war kaum mehr als ein Krächzen.
    Mary war seit einigen Minuten in der Röhre. Jenna war klar, dass sie sich irgendwann mit dem Schlimmsten auseinandersetzen mussten. Aber wann?
    »Wenn die Röhre sie hinter der Wand freigibt, müsste sie inzwischen durch sein. Wenn sie es geschafft hätte, stünde sie doch schon längst in der Tür.«
    »Einen Scheiß weißt du, Jenna. Warte es einfach ab.«
    Jeb legte Jenna eine Hand auf die Schulter und drückte sie als Zeichen, dass sie schweigen sollte.
    »Vielleicht sucht sie noch einen Weg zur Tür oder hat Schwierigkeiten, sie zu öffnen«, versuchte er zu vermitteln. Jenna war ihm dankbar dafür, denn ihr selbst fehlte die Kraft dazu. Aber trotzdem nagten die Gedanken weiter an ihr.
    Das glaubst du doch selbst nicht, Jeb. Gestehe es dir ein, Mary kommt nicht wieder und wird diese Tür nicht für uns öffnen. Sie ist tot und wir gefangen. Wir können nicht raus aus diesem Labyrinth und hinter uns lauern unsere Feinde. Die Frage ist nicht, ob sie uns kriegen, sondern, wer zuerst da sein wird, um uns auszulöschen. Und solange wir hier nur rumstehen, schwinden auch unsere Chancen auf Rettung.
    Sie knetete in stiller Wut Marys Klamotten. Jeb leuchtete unruhig durch die Halle, dann wieder in die Röhre und auf die Tür. Dann trat er davor und klopfte leise dagegen. Er legte sein Ohr ans Metall und lauschte auf eine Antwort.
    Jenna hob fragend den Kopf, aber dann wurde ihr bewusst, dass Jeb die Geste nicht sehen konnte.
    »Und?«, fragte sie.
    Er schüttelte den Kopf.
    Unerwartet rappelte sich León auf. Jenna sah, wie er schmerzvoll das Gesicht verzog, und obwohl die Lichtverhältnisse schlecht waren, konnte sie erkennen, dass nun auch das Hemd vorne vollkommen durchgeblutet war. Er presste eine Hand in die Seite und schleppte sich zu Jeb, schob ihn grob zur Seite. Dann schlug er mit voller Wucht gegen die Tür, wobei er sich bei jedem Schlag krümmte und brüllte: »Mary? Mary? Wo bist du?«
    Jenna litt mit ihm, ihr Blick glitt von León zurück zu Jeb und sie schämte sich dafür, froh zu sein, dass nicht sie an Leóns Stelle war. Immer wieder zuckte ihr Blick zum Tunneleingang, Leóns Geschrei würde ihren Verfolgern mit Leichtigkeit den Weg weisen. Aber sie würde León nicht zurückhalten. Sie versuchte, Leóns verzweifelte Rufe auszublenden, und betrachtete eingehend Jeb. Obwohl sie sich erst ein paar Tage kannten, glaubte sie, jede seiner Regungen zu kennen und vorhersehen zu können. Als ob ihr ganzes Leben nur eine Vorbereitung darauf gewesen sei, Jeb zu lieben.
    Die heiseren und wütenden Rufe des tätowierten Kämpfers drängten sich wieder in ihr Bewusstsein.
    Sie trat zu León, stellte sich an seine Seite, klopfte an die Tür und rief Marys Namen.

M ary hatte sich instinktiv
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