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Kuss im Morgenrot: Roman

Kuss im Morgenrot: Roman

Titel: Kuss im Morgenrot: Roman
Autoren: Lisa Kleypas
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bevorzugt hätte. Beatrix ging nicht spazieren, sondern sie ging auf Erkundungstour. Am liebsten begab sie sich tief in den Wald hinein und untersuchte die Pflanzenwelt, die Pilze, Nester, Spinnennetze und Erdlöcher. Nichts begeisterte die jüngste Hathaway so sehr wie der Anblick eines schwarzen Wassermolchs, der Fund eines Eidechsennests oder Kaninchenbaus oder das Verfolgen von Tierspuren, etwa eines Dachses.
    Verletzte Tiere wurden eingefangen, gesundgepflegt und wieder ausgesetzt oder, wenn sie sich nicht selber durchschlagen konnten, in die Familie aufgenommen. Die Hathaways hatten sich schon so sehr an Beatrix’ Tiere gewöhnt, dass niemand mehr auch nur mit der Wimper zuckte, wenn plötzlich ein Igel durchs Empfangszimmer watschelte oder ein paar Hasen am Esstisch vorbeihoppelten.
    Von der langen Wanderung mit Beatrix angenehm erschöpft, saß Catherine an ihrer Frisierkommode und löste die Nadeln aus ihrem Haar. Mit den Fingern massierte sie die Kopfhaut, um den leichten Schmerz, den der enge Zopf und die Haarnadeln hinterlassen hatten, zu lindern.
    Ein glückliches Geschnatter drang von hinten an ihr Ohr, und als sie sich umdrehte, entdeckte sie Beatrix Frettchen Dodger, der gerade unter ihrer Kommode hervorschoss. Sein langer, geschmeidiger Körper wand sich anmutig, während er mit einem weißen Handschuh zwischen den Zähnen auf sie zuhüpfte. Der spitzbübische Dieb liebte es, Sachen aus Schachteln und Schränken und Schubladen zu entwenden und sie in Form von kleinen Haufen irgendwo zu verstecken. Zu Catherines Verzweiflung hatte Dodger ausgerechnet eine Vorliebe für ihre Sachen. Auf der Suche nach ihren eigenen Strumpfhaltern durch Ramsay House zu laufen, war für sie zu einem demütigenden Ritual geworden.
    »Du kleine fette Ratte«, sagte Catherine zu ihm, als er vor ihr Männchen machte und seine winzigen Pfoten auf den Rand ihres Stuhls legte. Sie streckte die Hand aus, um über sein weiches Fell zu streicheln, kraulte ihn am Kopf und nahm ihm vorsichtig den Handschuh ab. »Jetzt, wo du alle meine Strumpfhalter geklaut hast, steigst du auf Handschuhe um, was?«
    Er blickte sie verliebt an, und seine Augen funkelten in dem dunklen Fellstreifen, der wie eine Maske über dem kleinen Gesichtchen lag.
    »Wo hast du nur meine Sachen versteckt?«, fragte sie und legte den Handschuh auf den Frisiertisch. »Wenn ich meine Strumpfhalter nicht bald wiederfinde, werde ich meine Strümpfe mit alten Schnürsenkeln festbinden müssen.«
    Dodger zuckte mit den Schnurrhaaren und schien sie anzugrinsen, wobei er seine kleinen spitzen Zähnchen entblößte. Er wand sich hin und her, als erhoffte er sich etwas von ihr.
    Mit einem widerwilligen Lächeln nahm Catherine ihre Haarbürste und kämmte sich die offenen Locken. »Nein, ich habe keine Zeit, mit dir zu spielen. Ich muss mich für das Abendessen zurechtmachen.«
    Blitzschnell und geschmeidig, wie es war, sprang das Frettchen auf ihren Schoß, schnappte sich den Handschuh vom Tisch und flitzte aus dem Zimmer.
    »Dodger«, rief Catherine und hastete ihm nach. »Gib den Handschuh her!« Sie lief hinaus auf den Korridor, wo die Dienstmädchen mit unüblicher Hektik hin und her rannten. Dodger verschwand um die Ecke.
    »Virgie«, fragte Catherine eine der Mägde, »was ist los?«
    Das dunkelhaarige Mädchen lächelte atemlos. »Lord Leo ist gerade aus London angekommen, Miss, und die Haushälterin hat uns aufgetragen, sein Zimmer herzurichten und ein weiteres Gedeck aufzulegen sowie seine Koffer auszupacken, sobald die Diener sie heraufgebracht haben.«
    »So bald?«, stieß Catherine hervor und spürte, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich. »Aber er hat uns gar nicht benachrichtigt. Niemand hat ihn so bald erwartet.«
    Ich habe ihn nicht erwartet , wollte sie wohl sagen.
    Virgie zuckte mit den Achseln und eilte mit einem Armvoll gefalteter Laken davon.
    Catherine legte eine Hand auf ihr Zwerchfell, um das aufkommende flaue Gefühl im Magen zu besänftigen, und zog sich in ihr Zimmer zurück. Sie war noch nicht bereit, Leo gegenüberzutreten. Es war nicht fair, dass er schon so bald wieder zurückgekehrt war.
    Gewiss, es war sein Anwesen. Aber immerhin …
    Sie schritt im Zimmer auf und ab und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Es gab nur eine Lösung: Sie würde Leo aus dem Weg gehen. Sie würde Kopfschmerzen vortäuschen und auf ihrem Zimmer bleiben.
    Mitten in den Wirbel von Gedanken hörte sie ein Klopfen an der Tür. Jemand betrat den Raum, ohne eine
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