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Kuss im Morgenrot: Roman

Kuss im Morgenrot: Roman

Titel: Kuss im Morgenrot: Roman
Autoren: Lisa Kleypas
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eine uneheliche Halbschwester. Sie war gerade einmal halb so alt wie ich und bedurfte einer weiblichen Bezugsperson. Ich nahm an, dass sie bei ihrer Tante besser aufgehoben sei.«
    »Hat sich die Annahme bestätigt?«, gab sich Leo einen Ruck.
    Harry warf ihm einen unergründlichen Blick zu. »Nein.«
    Eine ganze Lebensgeschichte verbarg sich hinter dieser einzigen Silbe. Leo wollte sie unbedingt hören. »Was ist passiert?«
    »Ich beschloss, in England zu bleiben und mein Glück im Hotelgeschäft zu suchen. Also schrieb ich Cat einen Brief, in dem ich ihr mitteilte, wo sie mich finden würde, falls sie jemals Hilfe benötigen sollte. Ein paar Jahre später, als sie sechzehn war, schrieb sie mir zurück und bat mich, ihr zu helfen. Ich traf sie in … schwierigen Verhältnissen an. Ich wünschte, ich hätte sie früher dort rausgeholt.«
    Leo spürte eine jähe unerklärliche Besorgnis in sich aufsteigen, und es war ihm schlicht unmöglich, seine Maske der Gleichgültigkeit, die er sich so gewissenhaft angeeignet hatte, länger aufrechtzuerhalten. »Was meinst du mit schwierigen Verhältnissen?«
    Harry schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber mehr kann ich dir nicht sagen. Es obliegt Cat, den Rest der Geschichte zu erzählen.«
    »Verdammt, Rutledge, so leicht kommst du mir nicht davon. Ich will wissen, was die Hathaways mit der Sache zu tun haben, und wie ich zu der Ehre komme, die übellaunigste, aufmüpfigste Gouvernante in ganz England zu beschäftigen.«
    »Cat hat es nicht nötig zu arbeiten. Sie ist eine finanziell unabhängige Frau. Ich habe sie mit reichlich Geld ausgestattet, um ihr die Freiheit zu geben, das zu tun, was sie möchte. Sie war für vier Jahre auf einem Internat und weitere zwei Jahre als Lehrkraft dort tätig. Eines Tages kam sie zu mir und erzählte mir, sie habe eine Stelle als Gouvernante bei der Hathaway-Familie angenommen. Ich glaube, du warst zu der Zeit gerade mit Win in Frankreich. Cat erschien zum Vorstellungsgespräch, Cam und Amelia mochten sie, Beatrix und Poppy brauchten sie mehr als dringend, und Cats mangelnde Erfahrung schien niemanden zu interessieren.«
    »Natürlich nicht«, sagte Leo bissig. »Meine Familie würde sich nie mit etwas so Nebensächlichem wie Arbeitserfahrung aufhalten. Ich bin mir sicher, das Erste, was sie von ihr wissen wollten, war ihre Lieblingsfarbe.«
    Harry versuchte vergeblich, nicht zu lächeln. »Da hast du ohne Zweifel recht.«
    »Warum ist sie dann in Stellung gegangen, wenn sie das Geld überhaupt nicht brauchte?«
    Harry zuckte mit den Achseln. »Sie wollte wissen, was es bedeutet, in einer Familie zu leben, und sei es nur als Außenstehende. Cat glaubt, dass sie nie eine eigene Familie haben wird.«
    Leo zog die Brauen zusammen, als er versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. »Niemand hindert sie daran.«
    »Das glaubst du!« Seine harten grünen Augen blitzten höhnisch auf. »Ihr Hathaways könnt euch überhaupt nicht vorstellen, was es heißt, in völliger emotionaler Isolation aufzuwachsen, bei Leuten, die sich einen Dreck um dich scheren. Du hast gar keine andere Wahl, als anzunehmen, dass du nicht liebenswert bist und dass du auch noch selbst daran schuld bist. Dieses Gefühl hüllt dich ein, bis es dein Gefängnis wird, und am Ende verbarrikadierst du alle Türen und wehrst dich gegen jeden, der gerne hereinkommen würde.«
    Leo hörte aufmerksam zu und verstand, dass Harry nicht nur von Catherine sprach, sondern auch von sich selbst. Im Stillen gab er zu, dass Harry recht hatte: Selbst in seiner ärgsten Verzweiflung hatte er sich immer sicher sein können, dass seine Familie ihn liebte.
    Erst jetzt begriff er, was Poppy für Harry getan hatte: Sie war in das unsichtbare Gefängnis eingebrochen, das er gerade beschrieben hatte.
    »Danke«, sagte Leo leise. »Ich weiß, dass es nicht leicht für dich war, darüber zu sprechen.«
    »In der Tat.« Und mit todernster Miene fügte Harry hinzu: »Eins sollte ich vielleicht noch klarstellen, Ramsay: Solltest du Cat in irgendeiner Weise Schaden zufügen, werde ich dich leider töten müssen.«
    Poppy saß, in ihr Nachthemd gekleidet, mit einem Buch im Bett. Sie hörte, wie die Tür zu den elegant eingerichteten Privatgemächern geöffnet wurde. Lächelnd blickte sie von ihrer Lektüre auf, als ihr Mann das Zimmer betrat. Ihr Puls beschleunigte sich bei seinem Anblick, so dunkel und anmutig. Harry war ein rätselhafter Mann, gefährlich selbst in den Augen derer, die behaupteten ihn
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