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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
Autoren: Petra Hulova
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als würden sie Fliegen verscheuchen. Ich zog dann die Handschuhe aus und griff dem Pferd zwischen die Hinterbeine, wo es am wärmsten war.
    Einmal lief Nara rasch heim, weil Großmutter von ihrem Bett aus schrie, Mama gebäre. Ojuna war ein unglaubliches Kind, und Mama plagte sich lange mit ihr. Sie war nicht mehr die Jüngste und war nicht sehr erfreut gewesen, als sie feststellte, wir würden wieder einer mehr sein. Papa freute sich, weil er sich sicher war, Mama jetzt endlich einen Jungen gemacht zu haben. Als wir den Sommer zuvor Besuche machten, protzte er überall damit und verspottete Ojunbat, der unweit von Batu und Dawdscha wohnte, weil ihm im selbigen Frühjahr die sechste Tochter geboren worden war und Mama unterdessen ein Bauch wuchs, in dem, wie sich Papa vorstellte, der künftige Dschingis Khan unseres Stamms schlummerte.
    Tante Chiroko, die einen, Burchan weiß warum, japanischen
Namen hat und die mancher aus unserer Familie aufsuchte, weil sie eine Schamanin war, nickte nur dazu, und Papa glaubte, es würde klappen. Als dann aber Ojuna zur Welt kam, erklärte er, Chiroko hätte das von Anfang an geahnt, sonst würde sie nicht so mit dem Kopf genickt haben, und auch er hätte es sich gleich gedacht, als er sah, wie spitz Mamas Bauch war und wie langsam er wuchs.
    Als Mama den Bauch hatte, waren Nara und ich zufrieden. Mama wurde immer langsamer und unbeholfener und beachtete uns immer weniger, Papa steckte mit der Herde ewig in den Bergen, und sie musste daheim alles allein bewältigen, weil sie seit damals, als Großmutter das Fleisch für die Chuuschuur zu salzen vergaß, aufgehört hatte, mit ihr im Haushalt zu rechnen.
    Großmutter regte sich manchmal auf, weil Mama ihr verwehrte, ihre Arbeit zu tun, dann beschimpfte sie Mama in ihrem Dialekt, der Sprache eines westlichen Volks, damit Nara und ich nichts verstehen konnten, und Mama war auch so alles klar. Ich ahnte nur irgendwie, dass Großmutters Worte diesen Menschen betrafen, der nie ein Mongole war und den Mama liebte.

    Als damals Mama gebären sollte, herrschte eine derartige Kälte, dass sie Nara, Magi und mich nicht für längere Zeit hinausschicken konnten, und daher werde ich nie Ojunas erstes Weinen und Mamas ergriffenes Seufzen vergessen, als es vorbei war. Sehen hatten wir es nicht können, und so erinnere ich mich an diesen Abend und an diese Nacht nur mit den Ohren. Eine lange Dunkelheit und Schreien, und als dann der Morgen heraufzog, schliefen Mama und das zu einem schmalen, harten Bündel verschnürte Baby schon, zugedeckt mit fast allen
Schaffellen, die wir damals besaßen, weil Papa sich Sorgen machte. Und obwohl nur ein Mädchen geboren worden war, heizte er die ganze Nacht und noch einmal Tag und Nacht ohne Unterlass, bis Nara und mir von der heißen, schweren, rauchgeschwängerten Luft übel wurde. Hinaus durften wir aber nicht, nur zum Austreten, weil Papa die Zugluft fürchtete, das Baby könnte sich ja erkälten, und so lagen Nara und ich zusammen im Bett und spielten unsere Spiele.
    Wir hatten ständig einen Beutel mit Schafsknöchelchen bei uns. Ich rote und Nara gelb gefärbte. Wenn wir gut gelaunt waren, schüttelten wir sie auf den Boden und spielten. Damals, als Ojuna geboren wurde, passierte es, dass mir dreimal hintereinander alle Würfel mit dem Kamel fielen, und Nara wurde wütend und fegte die Knochen mit einer einzigen Handbewegung in alle Ecken des Ger. Von diesem Lärm erwachte das Baby, das gerade getrunken hatte und schon fast schlief, und stieß ein nicht zu stillendes Gebrüll aus. Mama begann es von oben bis unten abzuklopfen, damit es sich beruhigte, und schimpfend stieß Papa, Zugluft hin oder her, Nara vors Ger zu den Hunden in die Kälte hinaus.
    Wenn so ein kalter Winter war wie im Jahr des Kaninchens, als Ojuna in unsere Mitte kam, führten sich die Hunde immer furchtbar auf. Sie hatten ewig Hunger und konnten die ganze Nacht an der Gertür kratzen, obwohl sie genau wussten, dass die Wärme nur für uns, die Mongolen, da war.

    Großmutter lag den ganzen Ojuna-Winter lang im Bett. Sie zitterte sogar im doppelten Winterdeel vor Kälte und jammerte, Magi heize zu wenig, Nara und ich taugten zu nichts, und Papa käme abends zu spät heim. So schlief und weinte sie tagelang, und einmal hörte ich, wie Mama zeitig in der Früh,
als ich praktisch noch schlief, zu Papa sagte, Großmutter würde die Neujahrsfeiern nicht mehr erleben, und wer sollte ihr dann bei der Zubereitung des Teiges für die Buuz
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