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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
Autoren: Petra Hulova
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helfen. Jede Familie musste davon mindestens fünftausend machen, damit schließlich alle Besucher weggingen mit einem Magen schwer wie der Bauch des Juliviehs, das den ganzen Tag nur mit gebeugtem Kopf dasteht und unablässig grast.
    Papa sagte nur, Großmutter wird durchhalten, nahm den Sattel vom Haken und ging seiner Arbeit nach. Er zürnte Mama nicht im Geringsten, und ich bekam neuerlich eine Bestätigung dafür, dass Mama böse und grausam sein konnte, war sie doch fähig, so über Großmutter zu reden. Großmutter war Papas Mutter und nicht die von Mama, vielleicht stritten sie und Mama deswegen so oft und machte Mama Großmutters Ansicht nach selten etwas gut genug. Aber auch andere Dinge spielten dabei eine Rolle. Möglich, dass Großmutter etwas gesehen hatte, was sie nicht hätte sehen sollen, dass sie die Geheimnisse von Mamas Herzen kannte.

    Papas Familie stammte aus dem Westen, sie hatte immer zu den Glanzvollsten der Durwut-Stämme gehört, und Großmutter konnte nur schwer verkraften, dass Papa ein Mädchen aus einer gewöhnlichen Nomadenfamilie geheiratet hatte, die kaum mehr als zwanzig Pferde besaß und an Schafen und Ziegen sicher nicht mehr als hundert. Noch dazu war Mama eine Chalch, und die hatte Großmutter noch nie besonders leiden können.
    Wenn sie alle paar Jahre einmal in die Hauptstadt fuhr, die eine Chalch-Stadt ist und wo sie ein paar entferntere Verwandte hatte, verzogen die alten Weiber, die auf der Straße Zigaretten und Limonade direkt aus den Kartons verkaufen,
spöttisch die Gesichter. Obwohl die Durwut nur das Ch wie ein K aussprechen und ihre Sprache vielleicht ein klein wenig gepresster klingt als Mamas Sprache, taten die Frauen in den Geschäften manchmal, als könnten sie Großmutter nicht verstehen, und wollten sie nicht bedienen.
    Mama sagt, diese Verschiedenheit sei dadurch gegeben, dass im Westen hohe Gebirge liegen und der Horizont dieser Berge wegen kurz und schartig ist, während die meisten Chalch in der freundlichen, endlosen Steppe leben, weswegen auch ihre Sprache so offen sei.
    Ich weiß nicht, aber dass ich eher spreche wie Mama, liegt daran, dass Papa sich mit mir, als ich klein war, nicht viel unterhielt. Aber ganz wie Mama spreche ich nicht, in der Schule erkannten sie nämlich sofort, dass Papa wohl von woanders stammt, weil nicht er, sondern Mama mit der Frau Lehrerin redete, denn Mama spricht wie alle hier in unserem Aimak. Als ich das Großmutter erzählte, sagte sie, ich würde meine Vorfahren nicht verleugnen und das sei gut. Papa hörte nur zu und sah ein wenig traurig aus, weil er mit seiner Sprache in unserem Aimak immer Probleme gehabt hatte und wahrscheinlich nicht wollte, dass wir in diesem Punkt ihm nachgerieten. Sehr gesprächig war Papa aber nie.
    Früher glaubte ich, er würde dauernd über die Arbeit nachdenken, weil für das Vieh draußen er allein zuständig war und er keine Söhne hatte, die ihm dabei geholfen hätten. Außerdem wies mich Mama, als ich ein Kind war und mit Papa am Abend Schagee spielen oder ihm ein Nest mit kleinen Tarbagan zeigen wollte, das ich gefunden hatte, immer gleich zurecht. Ich solle mich trollen, sagte sie, Papa müsse arbeiten, und sie ließ mich Leder schneiden oder Fleisch zurichten, damit ich was lernte.

    Wenn Papa aber in Stimmung war, das Vieh Fett ansetzte und das braune Fell der Pferde wie ein Tümpel glänzte, der in der Sonne spiegelt, dann hatten wir es lustig mit ihm.
    Papa suchte für Magi, Nara und mich drei besonders wilde Pferde aus, auf denen man zwar reiten konnte, sich im hölzernen Sattel zu halten jedoch schrecklich anstrengend war. Wir hatten von unserem Onkel schöne, bunt bemalte Kindersättel, damit wir auf den Pferderücken nicht so herumbimmelten, Papa machte jeder von uns eine kleine Taschuur, damit wir einem störrischen Pferd auch ordentlich die Peitsche geben konnten, und los ging’s.
    Als wir drei Jahre alt waren und noch etwas später, hob Papa uns auf die Pferde, später beherrschten wir das Aufsitzen aber schon selbst, und Magi musste aufhören, damit anzugeben, dass sie es konnte.
    So ritten wir mit Papa bis an den Horizont, jagten die schweißtriefenden Pferde der riesigen zornigen roten Sonne entgegen, die sich langsam in der Erde verkroch, und konnten sie nicht erreichen. In diesen Momenten fühlte ich, dass wir eine Familie waren, dass niemand die Bande des Blutes zerhauen konnte, und ich hatte nicht die geringste Lust, zu Mama zurückzukehren, die mit rauchgeröteten
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