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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
Autoren: Petra Hulova
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hielt, damit keiner die Steine umstieß. Finster schaute er auch drein, als ich den ganzen restlichen Aaruul aufaß, der im Regal stand. Er musste mindestens hundert Jahre alt gewesen sein. Er schmeckte bereits nach nichts mehr, und daher hatte ich mich überwinden müssen. Es war ein Opfer gewesen.
    Jetzt habe ich es mit Najma wirklich endgültig aufgegeben. Ich habe es vermasselt. Das wollte ich nicht. Ich hatte mich aufs Handarbeiten verlegt und einen Überwurf für ihren Burchan gestrickt. Eine Art Pullover sozusagen. Als Najma ins Ger kam, lief er rot an wie die Dämmerung. Er warf mir das Teil an den Kopf, und ich hörte, wie er es draußen Ojuna sagte, der Verräter.
    Wenn mich die Wut übermannt, sage ich mir Erliiz, Erliiz, Erliiz. Alles war immer davon getrübt. Ich gehe in die Roten Berge und komme mit einem Arm voll Heilpflanzen zurück. Ich werfe sie vor Ojunas Ger und hoffe, es wird sich dadurch etwas bessern.
    Die Roten Berge sind schrecklich alt. Die ältesten in der ganzen Mongolei. Die Welt war früher so hoch, wie ihre Gipfel hoch sind. Früher kannte die Welt keine Berge. Dann kam eine Katastrophe, Riesen verbreiteten sich über die Erde. Sie stürmten in ganzen Herden herbei. Trampelten alles nieder.
Die Menschen knackten unter ihren Füßen wie Läuse, und die Ger und die Herden verschwanden für immer unter ihren Sohlen. Der Himmel verschwand für ein paar tausend Jahre, und der ganze Horizont überzog sich mit einem riesigen Wolfspelz. Die Riesen gaben sich Wolfsnamen, und wenn sie durch die Welt zogen, hallte überall das Echo ihres durchdringenden Heulens. Ihre Stimme zerriss den Menschen die Ohren. Wer sie aus großer Nähe vernahm, verblutete durch die Ohren. Wenn die Riesen Kinder wollten, rissen sie sich ein Haar aus, dick wie ein Baum, und steckten es in die Erde. Bis zum nächsten Tag gab es wieder einen Riesen mehr. Die Roten Berge sind der einzige Ort, wohin die Riesen nie ihren Fuß setzten. Alles Übrige ist niedergetrampelt. Dort, wo jetzt die Gipfel der Roten Berge sind, wuchsen früher angeblich giftige Nesselgewächse, Mörderblumen. Selbst ein Riese konnte ihre Verbrennungen nicht überleben. Und daher sind die Berge übrig geblieben. Als einzige Reste der alten Welt.
    Das ist die beste von Papas Geschichten über unseren Aimak. Er kannte fünf. Vor Besuchern sprach er von unserer Gegend stets als von einem sehenswerten Ort. Das hatte er von Großmutter Dolgorma. Ich wusste, dass die Roten Berge nicht das einzige Gebirge waren, es wollte und wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Einmal hörte Papa, wie Nara und ich Vermutungen darüber anstellten, und sagte, die übrigen Berge wären erst später gewachsen. Wie die Steppentulpen nach dem ersten Regen, der über der Steppe niederging, sind sie gewachsen, nachdem ein feuriger Hund alle Riesen erwürgt hatte.
    Ich glaube, Najma kennt diese Geschichte nicht. Sie könnte ihn interessieren, man weiß ja, dass er in die Roten Berge geht zu den Risunki und sich aufspielt, er kenne dort jeden Stein. Manchmal ruft Ojuna vergeblich nach ihm.

    Wenn Najma weiß, dass er nicht dringend gebraucht wird, kommt er einfach nicht. Ojuna staucht ihn dann zusammen, doch er ist es gewohnt. Gerade gestern kam er so an. Ich wollte ihm das Essen aufwärmen. Er winkte nur abwehrend mit der Hand.
    Ich kann mich nicht entschließen, es zu sagen. Dass ich nicht wegfahre. Ich warte auf den Augenblick, der nicht kommt. Sie bieten es mir nicht an.
    Gestern bestickte ich Tsetsegma einen Deel. Ich möchte sie nicht bestechen, aber es ist besser, als das eingetrocknete Fett aus den Schalen zu kratzen. Ich schlug Ojuna vor, damit aufzuhören. Wir essen ohnehin immer das Gleiche. Und wenn man dreimal täglich isst, können die Reste gar nicht so zu stinken anfangen. Dzalchuu, sagte sie. Faule Haut, fügte sie hinzu und spuckte dabei aus. Also soll sie sie selbst waschen. Beschränkt für ewige Zeiten
    Tsetsegma fand diese Stickerei ziemlich wild und kindisch bunt. Ich hatte ihr den Deel heimlich weggenommen, es gemacht und ihn ihr dann fertig als Überraschung gebracht. Mammiii!, war das Erste, was sie zu schreien begann. Ich dachte, erwachsene Frauen würden nicht mehr ihre Mutter zu Hilfe rufen. Ojuna stürzte augenblicklich herbei, und beide gingen auf mich los. Sie sprachen von Vorsatz. Vorsätzlich war es aber nur einmal gewesen, mit dieser Schale, die ich ihr zerschlug. Das hier war absolut ernst gemeint. Als mir Mama einst vor langer Zeit ihre Stickerei auf
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