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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
Autoren: Petra Hulova
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gefahren war. Oder eher alt genug war, um es mir zu merken. Wahrscheinlich kam es davon, dass der Lenker Churem war, der Vater von Churem aus meiner Klasse, der mir gefiel. Nicht der kleine, der große war hübsch. Der alte Churem trug einen Filzhut und hatte unter dem Deel einen breiten Bauch. Er kam mir behaglich vor, und wenn er lachte, erzitterte er, als würde man ein Tischtuch ausschütteln. Ich wünschte mir sehr, diesen Bauch nackt zu sehen.
    Ich erzählte Najma davon. Er fragte, wie alt ich damals gewesen sei. Ich dürfte acht oder neun gewesen sein.
    Najma zog neuerlich die Augenbrauen in die Höhe. Ich bemerkte, dass er nur eine hochzog und auf der Stirn davon zwei tiefe unregelmäßige Falten hatte. Ich sagte mir, ich würde mit Ojuna darüber reden.
    Najma nahm meine Tasche und ging mit schnellen Schritten zum Ger. Er wartete nicht auf mich, und ich konnte nicht
Schritt halten mit ihm. Er musste geglaubt haben, ich wäre nur auf einen Sprung hier. Es war schon Sommer.
    Im Ger fielen mir gleich etliche neue Sachen auf.
    Einer der Gerträger war frisch gestrichen, auch die Sättel, die neben dem Eingang hingen, kannte ich nicht, und die Fotografien der Eltern, die immer neben dem Burchan auf dem Tischchen gegenüber der Tür standen, waren rumpelig wie das Blech der Einzäunungen in Ulan Bator. Ojuna sagte, sie wären Anra bei ihrem letzten Besuch in das mit Wasser gefüllte Lavoir gefallen. Wenn Anra von Kindern spricht, beginnen ihre Hände immer zu zittern. Ojuna weiß das, also begreife ich nicht, warum sie sie mit diesen Fotos in die Nähe des Lavoirs gelassen hat. Eine derartige Missachtung haben sich Papa und Mama nicht verdient. Jetzt sind ihre Gesichter eingelaufen und sehen dick aus, wie sie es nie waren. Andere Fotos haben wir von ihnen nicht. Ich sagte ihr, was ich davon hielt. Schließlich bin ich die Ältere. Najma zog abermals ein wenig die Braue hoch.
    Mir kam der Gedanke, dass das, falls er es öfter täte, auch nicht viel besser wäre als die laute Stille in der Wohnung im Sansaar.
    Ich sagte ihnen noch immer nichts. Teilte ihnen den ganzen Tag nicht mit, dass es schon für immer wäre. Sie hatten Mamas Ger nicht niedergerissen, es steht noch. Sie haben es näher an ihr eigenes herangerückt und mir überlassen. Sozusagen als Gastger. Sie ahnten nicht, dass ich mich nicht mehr von hier wegrühren würde.
    Als ich am ersten Morgen erwachte, verströmte die Erde eine Kälte, als wäre sie Metall. Es braucht eine Zeit, ehe eine alte Frau sich wieder daran gewöhnt.
    Als ich in die Stadt gekommen war, hatten mich die nächtlichen
Lichter verwirrt. Wenn nachts ein Auto durch die Straße fuhr, erwachte ich jedes Mal. Dolgorma hatte ihr Brummen von klein auf beruhigt. Die Morgen sind in der Stadt nie so gestochen blau wie in der Steppe. Dieses Gleißen schneidet einem in die Augen. In der Stadt ist der Tag gedämpft. Die Sonne steckt ewig hinter den Häusern, und der Rest der Strahlen verfließt mit dem Rauch der Autos und Fabriken zu einem weichen, rundlichen Licht. In der Steppe wird die Sonne durch nichts gebremst. Auch die sternenklare dunkelblaue Kälte nicht. Dieser erste Steppenmorgen nach den langen Jahren in der Stadt war so. Ich blieb an diesem feierlichen Morgen etwas länger liegen.
    Es waren noch einige Sachen von Papa und Mama im Ger geblieben. Die Blechdose für die Kekse, die mir damals so groß vorgekommen war, ein paar zusammengefaltete fettige Decken, auf dem Regal einige blaue Schälchen, die Mama Festtagsschalen nannte, und ein paar Papiere, genauso gewellt wie die Fotos meiner Eltern. Es war nie ein besonders gutes Ger gewesen. Es ließ sich schlecht aufstellen und war schwer wie eine mit Wasser vollgesogene Decke. Papa hatte es gekauft, weil es für ein achtwandiges ziemlich billig war, und dann fluchte er bei jedem Umzug. Es ist ein dunkler Kreis inmitten der Steppe. Im Inneren während der Nacht dunkel wie in einem schwarzen Ballon und tagsüber dämmrig und nach Fellen duftend. Sie hatten nurmehr zwei Betten darin gelassen. Eins hatte sich Batdschar genommen, und das vierte war im Feuer gelandet.
    Najma hat gesagt, er wolle aus diesem Ger ein Guanz für Wanderer machen. Sollte aber ein bescheuerter Fremder seinen Hintern auf Papas Hocker knallen und auf Mamas Tisch Nudeln kleckern, werde ich ihn mit Ohrfeigen hinausjagen. Das hier ist keine öffentliche Küche.

    Als Papas Leben erlosch, erhob sich angeblich ein derartiger Sturm, dass die Wände wogten wie ein
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