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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
Autoren: Petra Hulova
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Maß, angeblich würde sie mir das nächste Mal auch einen beigen Kaschmirpulli mitbringen. Bestimmt schleppt sie zwei an und wird einen Dolgorma aufdrängen. Was gibt sie denn nicht Ruhe? Immer muss ich Dzaja von Dolgorma berichten. Ich sage ihr, es ginge ihr gut. Ich weiß nichts und hoffe daher nur, dass wenigstens etwas von dem stimmt, was ich erzähle. Wir ziehen einander nicht ins Vertrauen.
    Dolgorma weiß nicht, dass ich warte.
    Ich laufe durch die Wohnung wie eine Schaffnerin, die Fahrkarten reißt, von einem Ende des Obusses zum anderen, und berühre die Dinge. Ich spüre, dass er irgendwo ganz in der Nähe ist. Meine Hände kribbeln, und das hat immer etwas zu besagen.
    Ich weiß schon. Ich wollte was Besseres anziehen. Zur Begrüßung.
    Keine Ahnung, wann das sein wird. Ich habe Geduld in rauen Mengen.
    Ab und zu helfe ich im Kaufhaus gegenüber aus. Wenn ich am Ladentisch das Fleisch einpacke, steige ich jedes Mal auf eine kleine Kiste, um über all die Köpfe der einkaufenden Frauen hinweg hinaussehen zu können.
    Wenn ich daheim bin, kann er mir nicht entgehen. Ich gucke ständig aus dem Fenster, und seine Schritte höre ich ohnehin aus tausenderlei anderen heraus. Ich spitze die Ohren.
    Früher oder später taucht Dschargal auf.

· 6 ·
    ES WAR ÜBERHAUPT keine schwere Entscheidung. Eine einzige große Tasche reichte mir für alle Sachen. Das Geld steckte ich mir in die Schuhe und füllte damit auch alle Innentaschen des Deel. Meine Ersparnisse waren nicht groß. Das ganze Jahr, in dem Dolgorma weg war, hatte ich nicht gearbeitet, und sich die ganze Küche rundherum mit Wodkaflaschen zu täfeln hat auch seinen Preis.
    Allmählich fand ich mich damit ab, dass mein Warten kein Ende haben könnte. Monat für Monat pilgerte ich mit meinen Gebeten in den Tempel, und meine Tage bekamen ein System.
    Wenn es warm war, holte ich mir aus dem Flur einen Klappstuhl auf den Balkon und beobachtete, wie die Sonnenstrahlen auf den Stangen des Geländers von der einen Seite auf die andere wanderten. Wenn es kühler wurde, setzte ich mich in der Küche auf Mergens Platz und goss mir aus der Teekanne eine Tasse nach der anderen ein, bis die Kanne leer war. Ich trank auch drei oder vier an einem Nachmittag aus.
    Jeden zweiten Tag ging ich einkaufen und täglich mit meinen Gebeten ins Gandan-Kloster.
    Manchmal kam Nara, aber nicht mehr so oft wie früher. Sie kümmerte sich ums Diwaadschin, weil Schartsetseg alt geworden war, nur in ihrer dunklen Kammer unter der Treppe
saß und immer mehr meiner Schwester überließ. Nara hatte ohnehin keine Männer mehr und kümmerte sich darum, dass in dem Ausschank unten genug Getränke waren, die Mädchen immer frisch überzogene Betten hatten und jede dort war, wo sie sein sollte. Sie war nach Schartsetseg die leitende Bordellchefin geworden, und deswegen fehlte ihr oft die Zeit, bei mir vorbeizuschauen.
    Mit mir war ohnehin nichts anzufangen.
    Es interessierte mich nicht, wie viele neue Mädchen im Diwaadschin werkten, und mit mir endlos über Dolgorma zu reden, ging wiederum ihr auf die Nerven. Najramdal hatte es auch nicht ausgehalten. Ein paar Monate schon, aber dann erschien er nur noch, wenn ich etwas brauchte. Er kam, half und ging weg.
    Als Dolgorma zurückkehrte, war ich gerade nicht da.
    Ich drehe den Schlüssel um, und drinnen stehen ihre ausgetretenen Schuhe. Ein Schwindel erfasste mich. In der ganzen Wohnung war es still. Ich hatte schon vom Flur aus Dolgorma! brüllen wollen, doch schwemmten die Tränen, die mir den Hals hinunterrannen, meine Stimme weg. Ich hatte Angst, mich zu rühren, wollte diesen Augenblick nicht irgendwie verschrecken, wollte Dolgormas Schuhe nicht zum Verschwinden bringen, wollte nicht erwachen. Der Kopf des Mädchens guckte aus der Küche und fuhr wieder zurück.
    Dolgorma sprach nicht mit mir. Auch nicht nach ein paar Tagen.
    Wie glücklich waren im Vergleich dazu die ganzen langen Monate gewesen. Ich hatte gewartet, dass die Sonne zurückkäme, und alle meine Gedanken endeten in ihren Armen. Nichts könnte mich in meinem Leben noch schmerzen, wenn wir uns nur erst umarmten. Ich war bereit, ihr alles zu verzeihen
und auch über mich selbst ein paar unschöne Dinge zu sagen, aber das hier streckte mich nieder. Nicht ein einziges Wort. Sie wich meinen Augen aus. Saß in der Küche und hörte Radio, wusch ihre Wäsche, kämmte sich die Haare, ging am Morgen weg und kam am Abend wieder zurück. Sie zog sich aus, warf die Kleider über einen Stuhl
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