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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
Autoren: Petra Hulova
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nur ein wenig weiche feine Haut übrig ist. Ich gehe aus der Küche ins Schlafzimmer und von dort gleich wieder zurück, weil soeben die grelle Morgensonne auf die Fratzen der orangeroten Tapetenblumen zu fallen begann und das ganze Zimmer voll von ihnen ist. Ich tauschte den Fliegenfänger gegen einen neuen Streifen gelben klebrigen Papiers aus. Er hat eine Farbe wie die Blätter der Schreibhefte meiner Kinder in der Schule. Narana, Chuuraj, Batamdschaw, Dawdan, Nogoontsetseg.
    Diese Namen gehören Männern und Frauen, die ich nicht mehr kenne. Sogar größere Kinder, als sie selbst es damals waren, haben einige meiner früheren Schüler schon. Ich möchte nicht in die fremden Gesichter blicken, denen die Namen meiner Kinder gehören.
    Ich möchte nicht zurückkehren. Niemand erwartet es mehr von mir, und das ist eine Erleichterung.
    Chiroko hat das geschickt eingefädelt. Als hätte sie geahnt, dass das, was bei ihr in der Chaaschaa passierte, ausgerechnet bei Schartsetseg sicher sein wird. Wie in einer Truhe verborgen.
Der Schlüssel dazu baumelte am Hals von Gelber Blume, aber wehe dem, der nach ihm gegriffen hätte.
    Andererseits ist es gut, seine Angehörigen vor bösen Dingen zu schützen.
    Mama wohnte jenseits der Berge, sie konnte nie etwas herausbekommen, und daher hatte sie ihre eigene Stadt. All die riesigen Kühltürme, Plattenbauten, holpernden Obusse und Straßenverkäuferinnen waren in ihr klein. Wie Pfefferkörner auf einer Hand. Keine ihrer Töchter verkaufte sich in dieser Stadt, keine ihrer Schwestern schmiedete Ränke in dieser Stadt. Auch dieses verfluchte Wohnzimmer, in dem wir uns alle abwechselten, existierte dort nicht, und so soll es mit den Eltern sein. Nur im Guten.
    Ich weiß so viel über die Kinder und die Alten und alles doch nur ungefähr. Ich war bereits nicht mehr dabei, als Mama und Papa alt zu werden begannen, und ich habe kein Kind. Eigentlich ja und nein. Sie ist zwar schon eine erwachsene Frau, aber Versprechen ist Versprechen. Und das habe ich Dzaja gegeben. Wenn ihr etwas passierte und Dolgorma allein bliebe, würde ich mich um sie kümmern. Das hatten wir einander gesagt, es mit zahllosen Gläsern begossen und uns dann so oft umarmt, dass ich mir den Kopf abhacken müsste, um es nicht zu wissen. Aber trotzdem ist sie nie da.
    Ich habe ihr nie ins Gesicht hineingelogen, und deshalb respektiert sie mich, und Dzaja hat, was sie verdient. Dolgorma macht den ganzen Tag wer weiß was, aber die Miete und alles Übrige zahlen wir zur Hälfte, so dass sie nicht einfach in den Straßen herumbummeln kann. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass Dolgorma nie zur Welt hätte kommen sollen. Aber Dzaja wollte ein Kind und basta. Jetzt ist das Mädchen allein. Ich bin nur die Tante, noch dazu ein Erliiz,
und mehr kann und will ich nicht sein. Und dass Dolgorma ihren Vater finden könnte wie Chiroko Mira gefunden hat, bezweifle ich.
    Aber sie sucht ihn auch. Jeder junge Mensch braucht einen Vater. Und lässt sich nichts sagen. Otschir ist verheiratet, hat zwei Kinder am Hals, und sie steigt ihm ständig nach. Sie hat mir ein Foto von ihm gezeigt. Nun ja, ein Mann, sagte ich. Sie war verstimmt und steckte es zurück in die Tasche. Nicht einmal schön ist er, und überdies vergeben und zu alt für sie. Er wird ihr wieder eine Abfuhr erteilen. Als wüsste sie nicht, wie die Dinge laufen.
    Das so erflehte Kind von Uuregma Ulantsetsegs Anra ist tot zur Welt gekommen. Sie war zu alt. Noch älter als Soldoo, die der behinderten Kleinen ein kurzes Leben schenkte, bevor Burchan sie sich nach ein paar Jahren wieder zurücknahm. Wunder sind doch nicht so häufig, und in unserer Familie haben sie bereits Großmutter Dolgorma und die japanische Hexe für sich in Anspruch genommen. Für mich und Dzaja blieben keine übrig.

    Dzaja hilft aus bei unserer kleinen Ojuna, und ich befürchte, dass sie sich dort begräbt. Ihr jedoch zu erklären, warum sie nicht wegfahren sollte, dafür war meine Zunge viel zu wenig gewandt.
    Andererseits sah sie, als sie das letzte Mal zu mir auf Besuch kam, zufrieden aus.
    Angetan mit einem abgewetzten Deel, wie eine Landfrau, die nie einen Fuß über ihren Aimak gesetzt hat, und mit einem zu einer Weizenähre geflochtenen grauen Zöpfchen, dem gleichen, wie Mama es immer hatte. Ich hätte sie in dem Trubel zwischen den Autobussen auf dem Zentralwoksal gar
nicht bemerkt. Sie hatte sich aufs Handarbeiten verlegt und schon Ojunas ganzes Ger eingekleidet. Sie nahm mir
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