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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
Autoren: Petra Hulova
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und knallte ihre Tür hinter sich zu. Nicht einmal ein Lispeln der Lippen, nichts. Sie blickte durch mich hindurch wie durch ein Schaufenster, ich konnte verrückt spielen oder die Beleidigte mimen, alles war vergeblich.
    In den Roten Bergen erzählte ich nichts davon. Wie immer Ojuna sein mag, rücksichtslos ist sie nicht, und keiner bohrte nach meinen Gründen. Sie nahmen mich zurück wie ein verlaufenes Schaf, das von der heimatlichen Herde umringt wird. Keine große Fragerei.
    Das Letzte, was ich damals noch versuchen wollte, war Nara. Ich lud sie zu uns ein und blieb dann den ganzen Abend weg. Sie sollte mit Dolgorma alles besprechen und es mich wissen lassen.
    Als mich Nara zum Bahnhof begleitete, kaufte ich ein paar Geschenke für die Roten Berge. Ohne etwas mitzunehmen, soll man nicht fahren. Batterien, Kerzen, diverse Schalen, Haarspangen und einen Messerschleifer. Nara sagte, ich solle keine Grüße von ihr ausrichten und während der Fahrt auf meine Sachen aufpassen.
    Das Gespräch der beiden hatte mir meine Dolgorma nicht zurückgegeben. Als ich kam, lag sie auf dem Teppich vor dem Fernseher. Sogar die stupideste Sendung war immer noch wichtiger als ich.
    Ich saß in der Küche und spielte mit dem Messer. Das konnte ich ewig aushalten.

    Das Messer wurde warm und bewegte sich in meinen Händen, als wäre es lebendig. Ich fuhr mit dem Finger über die Schneide und drehte den Griff in alle Richtungen. Das Holz glänzte rötlich und schwarz von all den Händen, die damit Hammelsehnen geschnitten hatten. Dieses Messer gab es hier schon bei der Alten, die Schartsetseg hinausgedrängt hatte. Sie ließ sich die Wohnung auf sich überschreiben, nahm ihr dann den Schlüssel weg und schickte sie zu Verwandten. Die Greisin trippelte wie ein artiges Kind. An dieser Stelle jagten immer sämtliche bösen Mangas durch Schartsetsegs Augen. Zu keinem auch nur ein Sterbenswörtchen angeblich. Sie war schlau, seit jeher schlauer als die anderen.
    Dieses Messer hatte auch Mergen in der Faust gehalten. Schartsetseg benützte es für Hammelchuurag, und er hatte damit in Momenten von Besessenheit im Tisch herumgestochert. Sein Platz war zerfurcht wie das ausgediente Gesicht eines Mannes vom Land, wie sein Antlitz, als ich es zum letzten Mal sah. Als Dolgorma hereinkam, hielt ich das Messer gegen die Sonne. Sie musste das Funkeln gesehen haben. Sie verschwand gleich im Nebenzimmer, das Bett knarrte, und dann abermals beklemmende Stille. Ich legte das Messer auf den Tisch, doch meine Hände spielten weiter damit.
    Als ich den Kopf von der Tischplatte hob, war Dolgorma im Weggehen. Ich rief nach ihr. Die Tür fiel zu.
    Ich kann beruhigt sein, ich verdiene keine Vorwürfe. Hätte Dolgorma nur eine Spur guten Willens, würde ich für sie Berge versetzen. Würde dem Fleischkombinat die Fenster einschlagen, in den Obussen alle Sitze rot lackieren, in ihrer Lieblingsfarbe, und dazu noch von der Spitze des Rundfunkturms ein rotes Fähnchen für sie hinabschweben lassen. Und das wäre nur der Anfang.

    Bloß, dass es das Ende war, und so fuhr ich dorthin zurück, wo mich Steine und Blumen schon längst vergessen hatten und die Kinder meinen Namen verballhornten. Wo der Horizont unabsehbar war und im Sommer die Felsen noch lange nach der Dämmerung warm waren und nach Eidechsen dufteten.
    Für Dolgorma ließ ich auf der kleinen Kommode im Flur einen zugeklebten Brief mit Geld und einem Gruß da. Ich hatte ihr alles gesagt, aber ihr Blick war wie eine Schlange in einer Ecke eingeringelt gewesen, und ich war mir nicht sicher, ob sie die Ohren nicht ebenso verschlossen hatte wie ihr Herz, das nur dann klopfte, wenn ich nicht in der Nähe war.
    Zum Bahnhof ging Nara mit mir. Jede von uns hielt einen Henkel der Tasche. Das zusammengerollte Geld in den Schuhen drückte mich, und ich fühlte mich unwohl in meinem Deel. Nara versprach, sie würde ein Auge auf Dolgorma haben und Najramdal, wenn er einmal käme, sagen, ich wäre fort und dass er, falls er Lust hätte, weiterhin das Klosett und den tropfenden Wasserhahn zu reparieren, es von nun an für sie machen solle, weil diese Wohnung ab jetzt ihr gehöre.
    Zwei Tage vor meiner Abreise war in meinem Fach bei der Post ein dünner zerknitterter Umschlag eingetroffen. Mergen war tot. Davon sprach die krakelige Schrift. Eine Unterschrift, die mir nichts sagte, und oben eine große rote Marke aus Kitaj. Ich hätte unseren Platz aufsuchen können, wo wir in den Roten Bergen die Toten lassen und diese
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