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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
Autoren: Marina Lewycka
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anschmiegsam, wie Frauen sein sollten, sondern laute, eigensinnige, respektlose Wesen. Wirklich ein Unglück
     für einen Mann. Er hat nie versucht zu verbergen, wie enttäuscht er war.
    »Bevor du dich da in irgendetwas hineinstürzt, Papa, solltest du dich auf jeden Fall juristisch beraten lassen. Kann ja sein,
     dass sich das alles ganz anders entwickelt, als du jetzt denkst. Möchtest du, dass ich einmal mit einem Rechtsanwalt spreche?«
    »
Tak
,
tak
. Besser, wenn du in Cambridge zu einem Anwalt gehst. Da sind doch jede Menge Ausländer. Mit Einwanderungsbestimmungen kennen
     die sich da sicher aus.«
    |23| Er sieht Menschen unter rein taxonomischen Gesichtspunkten. Von Rassismus hat er keine Vorstellung.
    »Okay, Papa, dann versuche ich also einen Anwalt zu finden, der auf Einwanderungsfragen spezialisiert ist. Und du unternimmst
     bitte nichts, ehe ich mich nicht wieder bei dir gemeldet habe.«
     
    Der Rechtsanwalt, ein junger Mann aus einer Kanzlei in der Innenstadt, ist vom Fach. Er schreibt:
     
    »Sollte Ihr Vater heiraten, müsste er beim Innenministerium einen Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung für seine Frau stellen.
    Damit diesem Antrag stattgegeben wird, muss sie nachweisen können:
    1.   Dass die Ehe nicht nur deshalb geschlossen wurde, um ihr die Einreise oder den Aufenthalt in Großbritannien zu ermöglichen.
    2.   Dass sie sich persönlich kennen.
    3.   Dass sie vorhaben, dauerhaft als Mann und Frau zusammenzuleben.
    4.   Dass sie über genügend finanzielle Mittel verfügen, um ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, und nicht auf staatliche
     Unterstützung angewiesen sind.
     
    Das Hauptproblem liegt darin, dass das Innenministerium (oder, falls sie schon vor der Antragstellung Großbritannien verlassen
     haben sollte, eine Botschaft) wegen des großen Altersunterschiedes und weil die Heirat kurz vor dem Ablauf ihres Visums stattfand,
     vermutlich davon ausgehen wird, die Ehe sei nur zum Zwecke der Einwanderung geschlossen worden.«
     
    Diesen Brief leite ich an Vater weiter.
    |24| Dass der Anwalt mir außerdem erklärt, es würde die Erfolgschancen beträchtlich steigern, wenn die Ehe über einen Zeitraum
     von fünf Jahren hält oder ein gemeinsames Kind da ist, erzähle ich meinem Vater nicht.

|25| 2.
Mutters kleines Vermächtnis
    Mutter hatte unter der Treppe eine Vorratskammer, deren Regale vom Boden bis zur Decke reichten und voller Gläser und Dosen
     mit Fisch, Fleisch, Tomaten, Obst, Gemüse und Wurst waren, dazu Zucker (Kristallzucker, Puderzucker, brauner Zucker), Mehl
     (Weißmehl, Vollkornmehl, Instantmehl), Reis (Milchreis, Langkornreis), verschiedene Sorten Nudeln (Makkaroni, Spaghetti, Vermicelli),
     Linsen, Buchweizen, getrocknete Erbsen, Haferflocken; außerdem diverse Speiseöle (Sonnenblumen- und Olivenöl), eingelegte
     Tomaten, Gurken und Rote Bete; Müslis und Frühstücksflocken (hauptsächlich Shredded Wheat); Kekse (vorzugsweise Schokoladenkekse)
     und große Tafeln Schokolade. Auf dem Boden standen Flaschen und Glasballons, gefüllt mit einer dicken malvenfarbigen alkoholischen
     Flüssigkeit aus Pflaumen, braunem Zucker und Nelken, von der ein Glas ausreichte, um auch den abgehärtetsten Alkoholiker (von
     denen es in der ukrainischen Gemeinde nicht wenige gab) bis zu drei Stunden auszuschalten.
    Oben unter den Betten hatte sie herausziehbare Schubladenkästen voll mit eingewecktem Obst (vor allem Pflaumen) und selbstgemachter
     Marmelade (aus Pflaumen, Erdbeeren, Himbeeren, Schwarzen Johannisbeeren und Quitten in allen möglichen Kombinationen). In
     den Schuppen und der Garage standen Kartons mit Äpfeln vom Vorjahr |26| (Boskop, Jonathan und James Grieve) – alle einzeln in Zeitungspapier eingeschlagen   –, die ein betörendes Aroma verströmten. Bis zum Frühjahr waren die Schalen der Äpfel aufgeweicht und das Innere zusammengeschrumpelt,
     aber für Apfelstrudel und Blini waren sie immer noch gut. (Fallobst und angeschlagene Äpfel waren gleich aussortiert und zu
     Mus verarbeitet worden.) In den kühlen dunklen Schuppen hingen Netze mit Karotten und Kartoffeln, die zum besseren Schutz
     noch nicht von der Erde gesäubert waren, neben Zwiebel- und Knoblauchbündeln.
    Als meine Eltern 1979 eine Gefriertruhe kauften, stapelten sich darin alsbald ordentlich beschriftete und datierte Plastik-Eiskübel
     mit Erbsen, Bohnen, Spargel und Beeren. Sogar Dill und Petersilie wurden in kleinen Bündeln gebrauchsfertig in Plastikfolie
     eingefroren, so dass
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