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Kurz bevor dem Morgen graut

Kurz bevor dem Morgen graut

Titel: Kurz bevor dem Morgen graut
Autoren: Andreas Kimmelmann
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Aber fahren kann ich. Mein Vater hat es mir beigebracht.“
    Bei der Erwähnung ihres Vaters musste ich wieder an die große Gestalt im beigen Mantel denken, die Kiandra gewürgt hatte. Mein Blick verfinsterte sich. Sie bemerkte es.
    „Es ist wirklich alles in Ordnung“, versicherte sie mir. „Es ... es hat mit seiner Arbeit zu tun. Er war an diesem Abend einfach nicht er selbst.“
    Ich nickte, wenn auch unbefriedigt.
    „Du kannst mich aber schlecht vor meinem Haus abholen“, meinte ich. „Wenn uns jemand erwischt ...“
    „Geh einfach den kleinen Hügel runter“, meinte sie. „Dort unten werde ich dich dann abholen.“
    So willigte ich also ein.

    Gegen sieben Uhr abends holte sie mich ab, wie verabredet. Wir fuhren durch nämlichen Wald, bis wir an das Seeufer kamen. Dort stand die Hütte, sehr malerisch im rotglühenden Sonnenuntergang.
    „Wow“, sagte ich. „Das ist wirklich atemberaubend.“
    „Sehr romantisch, hm?“, neckte sie mich.
    Ich konnte es nicht verleugnen.
    „Du bist süß“, meinte sie und küsste mich.
    Wir verbrachten einen wundervollen Abend in der Hütte. Zuerst saßen wir nur auf der Bank und küssten uns, dann gingen wir ins Bett. Wir hatten mindestens vier Mal Sex in dieser Nacht. Ich will nicht prahlen, aber zwischen acht Uhr abends und vier Uhr morgens, als all das Schreckliche passierte, war eine Menge Luft. Wir liebten uns in allen Varianten, die ich damals kannte – viele waren das nicht, wie Sie sich denken können – und ich erkundete ihren Körper bis ins kleinste Detail. Ihre kleinen zarten Brüste, ihren knackigen Hintern und ihre festen, schlanken Schenkel. Ich erzähle Ihnen das nicht, um Ihre sexuelle Fantasie anzuregen. Sie sollen nur begreifen, in welch grausiger Situation ich mich im Nachhinein befunden habe.
    Irgendwann im Laufe der Nacht, es muss so kurz vor vier Uhr gewesen sein, meldete sich wieder meine Blase zu Wort. Ich beschloss, Kiandra, die eingeschlafen war, nicht zu wecken. Stattdessen suchte ich mir selbst den Weg zum Badezimmer, das ich erstaunlicherweise an diesem Abend noch gar nicht benötigt hatte. Als ich mich dem Bad näherte, erstarrte ich. Die Tür stand offen, ein fahler Lichtschein fiel auf den dunklen Flur. Das war an sich nichts Ungewöhnliches, vermutlich hatte Kiandra es schon benutzt, aber ... die unheimlichen Erinnerungen an jenen Tag in Margarethe Schusters Haus kamen wieder in mir hoch. Ich wartete, zitternd, nicht nur vor Angst, sondern auch vor Kälte. Ich hatte mir nur Unterhose und T-Shirt übergestreift, bevor ich mich auf die Suche nach der Toilette gemacht hatte. Die Kälte kam nicht nur daher, dass es Mitte Oktober war. Ein kalter Hauch kam aus der Badezimmertür. Dann hörte ich wieder das Geräusch. Teils ein Stöhnen, teils ein Knurren. Langsam entfernte ich mich von der Tür und ging zum Bett zurück. Kiandra schlief noch.
    „Kiandra?“, flüsterte ich, während ich mich ihr näherte.
    Sie schreckte hoch.
    „Wir müssen von hier weg“, sagte ich und zog mich an.
    „Wieso denn?“, fragte sie erschrocken.
    „Im Badezimmer“, sagte ich nur. „Und erzähl mir nicht wieder, dass es die Katze oder dein Vater ist.“
    „Was ist im Badezimmer?“, fragte sie und verlor abermals jegliche Gesichtsfarbe.
    „Vermutlich dasselbe wie in Frau Schusters Haus, den Geräuschen nach zu urteilen.“
    „Scheiße!“, entfuhr es ihr. „Ich dachte echt, die finden mich hier nicht. Wenigstens diese eine letzte Nacht wollte ich uns noch gönnen!“
    Ich starrte sie fassungslos an.
    „Gefunden? Was meinst du? Und wieso letzte Nacht?“
    „Weil ich aufgeflogen bin!“
    „Aufgeflogen? Aber wie ...“
    „Ich muss mit ihm reden“, sagte sie und stand auf.
    „Mit ... mit ihm reden?“, fragte ich wie vom Donner gerührt.
    „Keine Angst“, sagte sie. „Ich werde ihn überzeugen. Er soll uns noch den Rest der Nacht gönnen, dann werde ich ... na ja, dann wird es wieder wie früher sein.“
    „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst!“, rief ich verzweifelt aus.
    „Musst du nicht“, meinte sie. „Überlass das mir.“
    „Du bist nackt!“
    Sie blickte mich nur wissend an. „Er kennt mich nackt.“
    Dann ging sie schnurstracks ins Badezimmer und ließ mich verdattert stehen. Die Tür zum Bad wurde von innen geschlossen.
    Die Wartezeit kam mir endlos vor. Im Endeffekt war es wahrscheinlich eine Viertelstunde, bis ich den Riesenkerl im Lodenmantel am Fenster vorbei wandern sah.
    Zögernd ging ich wieder zur Badtür. Ich
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