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Kurt Ostbahn - Kopfschuss

Kurt Ostbahn - Kopfschuss

Titel: Kurt Ostbahn - Kopfschuss
Autoren: Guenter Broedl
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erfrischend rustikal.
    Nur ein blasser kleiner Mann, der nicht nur wegen seiner großen Hornbrille und den nervösen, zappeligen Bewegungen daheim in Manhattan garantiert mehrmals die Woche für Woody Allen oder dessen jüngeren Bruder gehalten wird, ist mit Tres Cruces, dem Reitausflug und ganz Mexiko unzufrieden. Er klagt über Bauchkrämpfe, Kopfschmerzen, die Affenhitze, sein Pferd, das ihn vorhin beinah abgeworfen hätte, weil es einer Klapperschlange ausweichen musste, und über dieses Wüstenkaff, das die Lebens- und Farbenfreude vermissen lässt, die Mexiko zu einem der bevorzugten Urlaubsziele des Nordamerikaners gemacht haben.
    Der Duke versucht den Querulanten mit dem Versprechen in Emilios Gaststube zu locken, dass hier der beste Tequila und Mezcal Mexikos gereicht wird, mit Zitrone und Salz, mit Orange und Zimt, und das in Quantitäten, die einen den strapaziösen Ritt zurück ins Paraiso del sur ganz rasch vergessen lassen.
    „Ich trinke nicht, Mister Duke!“, empört sich der achte Reiter. „Ich habe noch nie in meinem Leben getrunken und Mexiko wird daran nichts ändern!“
    Der Duke kapituliert mit einem ebenso höflichen wie warnenden Tippen an seine Hutkrempe und räumt wortlos das Feld. Als echter Westener vom alten Schlag ist er für den Job eines berittenen Reiseleiters eindeutig überqualifiziert.
    Der achte Reiter will ihm aufgebracht nach in Emilios Gaststube, doch dann fällt sein Blick leider auf mich: Ich sitze auf einer bunten Decke von Emilios Mutter im Schatten vor dem Haus, weil man bei diesen Temperaturen in der zweiten Tageshälfte eigentlich nix anderes tun kann, als im Schatten zu sitzen, möglichst wenig nachzudenken und auf den Sonnenuntergang zu warten.
    „ ¡Señor!“ wendet sich der kleine Reiter an mich. Er streckt mir seine Hand hin. „Davies. Samuel Davies. Sie sind doch von hier?“
    „Kann man so nicht sagen.“
    „Aber Sie verstehen, was ich diesem offenbar senilen Ungetüm sagen will, oder?“
    „Kurt“, sage ich und schüttle Samuel Davies die schweißnasse Hand. „Ich hab nur mitgekriegt, dass Sie überzeugter Antialkoholiker sind, Sam. Mit dieser Überzeugung kommen Sie hier aber nicht weit. Sie kriegen Bauchkrämpfe vom scharfen Essen, Kopfschmerzen von der Hitze und Panik-Attacken wegen der vielen giftigen Tiere. Mein persönlicher Tipp: Geben Sie sich einen Ruck, gehen Sie rein an die Bar und fragen Sie Emilio, den Wirt, nach seinem Spezial-Mezcal. Nach drei, vier Gläsern werden Sie Tres Cruces lieben.“
    „Das werde ich ganz bestimmt nicht tun, Mister!“, bleibt Samuel Davies standhaft auf Trockenkurs. „Was ist das hier überhaupt? Eine Filmkulisse nach Drehschluss? Wo sind die Mexikaner, die hier angeblich leben? Das Dorf ist wie ausgestorben.“
    „Die Leute sind am Friedhof. Hören Sie die Musik, Sam? Sie essen, trinken und feiern eine Party mit den Toten.“
    „Mit welchen Toten?!“
    Sam Davies nimmt seinen übergroßen Hut ab und fächelt sich kühle Luft ins von Schweiß bedeckte Gesicht, auf dem nun nervöse rote Flecken sichtbar werden. „Grassiert hier etwa eine Seuche? Die Cholera, die Amöben-Ruhr? Ich bin wahnsinnig anfällig und empfindlich, besonders was die Hygiene in der Küche und in den Nassräumen betrifft.“
    „Keine Sorge, Sam“, sage ich, weil ich auf einmal weiß, was der hysterische kleine Mann hören will. „Es gibt keine Seuche. Und die Leute aus Tres Cruces feiern am Friedhof mit ihren verstorbenen Angehörigen, weil heute der Totentag ist. Also entspannen Sie sich, naschen Sie ein wenig vom kalten Buffet und lassen Sie sich den Tipp mit dem Mezcal noch einmal durch den Kopf gehen. Das ist ein medizinischer Ratschlag, Sam.“
    „Sie sind Arzt, Mister . . . äh?“
    „Kurt. Sozialmedizin und Musiktherapeut.“
    „Wie aufregend“, findet Sam. „Stört es Sie, wenn ich mich einen Augenblick zu Ihnen setze? Ich wollte immer Arzt werden, aber es hat leider nicht gereicht, weder finanziell noch vom Notendurchschnitt . . .“
    „Nicht bös sein, Sam, aber ich halte gerade siesta und bin nicht im Dienst. Mein Tipp war gratis und jetzt muss ich meine Ruhestunde fortsetzen, übrigens eine der gesundheitlich wichtigsten Tätigkeiten in diesem schönen, aber auch heißen Land.“
    „Ruhestunde“, nickt Samuel Davies beeindruckt. „Dann will ich nicht weiter stören, Doktor Kurt.“
    Der kleine Quälgeist verschwindet endlich in der cantina, aber der Nachmittagsfriede hält nicht lang. Emilio kommt, üble
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