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Kurt Ostbahn - Kopfschuss

Kurt Ostbahn - Kopfschuss

Titel: Kurt Ostbahn - Kopfschuss
Autoren: Guenter Broedl
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den Job, den ich zurückgelegt habe, zu erledigen. Dieser John Smith will Ramon töten, hat aber keine Ahnung, dass sein Opfer genauestens über jeden seiner Schritte Bescheid weiß. Der Typ in Tres Cruces ist, wie man hierorts pathetisch meint, dem Tode geweiht.
    „Komplizierte Angelegenheit“, sagt Robert Mitchum. „Ist mir in der Form in noch keinem Skript untergekommen. Rein instinktiv würde ich sagen, was meine Großmutter immer gesagt hat: Das eigene Hemd ist mir näher als der eigene Rock.“
    „Ich brauch keine Bauernregeln, amigos“, wende ich mich an meine Gefährten. „Ich brauch Entscheidungshilfen! Und zwar dalli!“
    Aber jetzt schreit Linda, und ich höre die Stimme von Ramon, die sich nach schwerer Drohung anhört, also kehre ich eilig zurück an meinen Platz auf Hondos bunter Decke. Linda sitzt immer noch da. Ihr Bruder hat die Schlangentänzerin im Arm und zischt mich an: „Lass die Finger von meiner Schwester.“
    „Aber Robert und ich reden doch nur“, faucht Linda. „Robert hat mit dir geredet, die halbe Nacht mit dir getanzt, wiederum mit dir geredet und jetzt will er dich ficken. Und das gefällt mir nicht!“
    „Vamos, mi amor“ sagt die Schlangentänzerin zu Ramon und zieht ihn mit sich fort zur Tequila-Schenke, wo die beiden Bogenschützen vom Messerwerfer und den Revolverhelden gefeiert werden.
    Ramon dreht sich um, zeigt auf mich und ruft mir zu: „Wenn Linda wegen dir auch nur eine Träne vergießt, dann bring ich dich um! Und ich finde dich überall, gringo!“
    „Früher waren die fiestas irgendwie entspannter“, meint Linda und lehnt sich an meine Schulter.
    „Man wird älter“, sage ich.
    „Komisch“, sagt Linda und drückt meine Hand. „Ich bin hier geboren und aufgewachsen, aber ich fühl mich in Austin daheim.“
    Ramon und die üppige Schlangenfrau tanzen um Hondos Suppentopf. Der Messerwerfer sitzt traurig da und wartet auf Skorpione und Schlangen. Die Bogenschützen haben sich mit ihren conchitas in die Hütten verzogen. Der wache Rest der Angels und ihre Ladies trinken Kaffee.
    „Ich würde dich jetzt wahnsinnig gern küssen“, sage ich. „Was spricht dagegen?“, meint Linda.
    „Hmm“, sage ich.
    Bruder Ramon fällt mir ein, und noch ein John Smith.
    Und dann versinke ich in ein Meer aus Knoblauch, Milch und Honig.

24. WIEN-FÜNFHAUS

    „Wie wär’s im Rallye?“, sage ich.
    „Okay. Sagen wir so gegen neun“, meint Melanie. „Und was die Programmgestaltung des späteren Abends angeht, deine Jean-Seberg-Fotos kenn ich schon. Also lass dir was Neues einfallen, mit dem du mich beeindrucken kannst. Ciao, Ciao.“
    „Bis später“, sage ich. Aber Melanie hat bereits aufgelegt. Ihre Telefonstimme hörte sich quietschvergnügt und ganz besonders unternehmungslustig an, mit einem leisen Hauch von ironischer Distanz.
    Es ist halb zwölf an einem Allerheiligentag, der dem passionierten Friedhofsbesucher nichts schuldig bleibt. Für die Frühaufsteher hielt er ein feines Nebelreißen bereit, das im Laufe des Vormittags in Nieselregen bei auffrischendem Westwind überging. Gegen die kilometerhohe Wolkendecke, die er über die Stadt schiebt, hat die Sonne nicht die geringste Chance. Sie haut den Hut drauf, nimmt sich den Rest des Tages frei und rät Menschen wie mir, die im Halbdunkel ihrer Wohnungen hocken, vom elektrischen Licht Gebrauch zu machen.
    Also lege ich das weiße Hörerdach zurück auf das himmelblaue 57er-Chevy-Telefon, knipse sämtliche Lampen an und warte auf Erleuchtung: Wo ist die rote Mappe des Trainers geblieben, die entscheidende Hinweise auf den Grund seines Verschwindens und die Hinrichtung des jungen, engagierten Tier- und Menschenfreundes Roman Schindler enthält?
    Ich hab letzte Nacht und - nach nur drei Stunden extrem unruhigen Schlafs - bereits den halben Vormittag auf der Suche nach der Mappe meine Bude auf den Kopf gestellt, massenhaft Trümmer aus der Vergangenheit geborgen, die meisten in einem 110-Liter-Müllsack entsorgt und war danach einer handfesten November-Depression näher als je zuvor in meinem Leben.
    Vor zirka zehn Minuten hab ich dann beschlossen, der aufkeimenden Trost- und Ratlosigkeit mit Verve und Vehemenz entgegenzutreten, indem ich Melanie anrief.
    Der Kraftakt hätte auch ins Auge gehen können. Aber Melanie schien ehrlich erfreut über meinen Anruf, obwohl sie gerade mit einem kleinen Drachen beim Morgensport war. „Dann will ich nicht länger stören“, sagte ich.
    „Du störst überhaupt nicht,
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