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Kurschatten: Ein Sylt-Krimi

Kurschatten: Ein Sylt-Krimi

Titel: Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
Autoren: Gisa Pauly
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Fall würde die Zeitspanne eher kurz sein. Vielleicht sollte er dankbar sein, dass er es ohne seine Medikamente nicht mehr lange aushalten würde. Dann hatte die Qual bald ein Ende.
    Die Laserstrahlen, die die Finsternis durchbohrten, drangen sogar durch seine geschlossenen Lider. Aber er öffnete die Augen nicht. Wieder leuchteten die roten Kontrollpunkte auf, und die Geräusche, die schon einige Male eine wahnwitzige Hoffnung in ihm erzeugt hatten, drangen erneut an seine Ohren. Aber mittlerweile nahm er sie kaum noch wahr. Ebenso wenig wie das Vibrieren der Karosserie, die Bewegung um ihn herum, die, wie er wusste, in wenigen Augenblicken zur Ruhe kommen würde. Und dann würde wieder alles so wie vorher sein. Still! Finsternis und tödliche Ruhe folgten jeder kleinen Hoffnung. Beides hatte sich längst auf seinen Körper übertragen. In ihm war es finster, das kleine Flämmchen Hoffnung war längst erloschen, und die Verzweiflung schrie nicht mehr in ihm. Das Handgelenk, das stundenlang an der Fessel gezerrt hatte, schmerzte nicht mehr. Nur den Durst spürte er noch. Aber wie sein Körper würde auch der schwächer werden, das wusste er. Dass er nicht verdursten, sondern am hypoglykämischen Schock sterben würde, erzeugte nun sogar ein wenig Frieden in ihm. Gelegentlich erfasste ihn nun eine Welle hinter seinen Augäpfeln, die ihn davontrug, und jedes Mal hoffte er, dass er nicht zurückkehren würde. Ein ums andere Mal spülte sie ihn aus der Schwärze, aus der qualvollen Lautlosigkeit, weg von dem Gestank, der die vertrauten Gerüche in seinem Wagen längst überdeckte. Zwischendurch hatte er unter der Frage gelitten, wer ihm das angetan hatte und warum, aber nun war auch das nicht mehr wichtig. Er wollte nur noch, dass es ein Ende fand. Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen, Kussmaulatmung, rasender Puls, brettharter Bauch und dann … Schluss.
    Aus dieser Hölle, in die er verschleppt worden war, gab es kein Entrinnen. Und die Frage, wo dieser grauenvolle Ort sich befand, rumorte längst nicht mehr in seinem Kopf. Er war zu schwach für solche Gedanken. Gott sei Dank! Die Schwäche würde ihn Stück für Stück aus seinem Gefängnis herausholen, und bald würde er das Licht sehen, nach dem er sich sehnte. Bald! Es konnte nicht mehr lange dauern.
    Ein letztes Mal riss er die Augen auf, als von weither ein Motorengeräusch zu ihm drang, ein letztes Mal sah er die Laserblitze, die das Dunkel durchbohrten, ein letztes Mal die roten Punkte, die eine Ordnung signalisierten, zu der er längst nicht mehr gehörte. Zum letzten Mal schloss er die Augen. Dann öffnete er sie nie wieder …

» G emelli!«, staunte Mamma Carlotta.
    Die beiden Frauen machten keinen Hehl daraus, dass ihnen die Aufmerksamkeit, die sie erregten, nicht gefiel und dass sie nur höflich blieben, weil diese italienische Mamma einen geschäftlichen Kontakt mit ihnen aufgenommen hatte, der sie zur Artigkeit zwang. »Ja, wir sind eineiige Zwillinge. So was soll’s öfter geben.«
    Mamma Carlotta staunte sie mit offenem Mund an. Tatsächlich ähnelten sich die beiden Frauen aufs Haar, was aber erst zu erkennen war, wenn man sie genau betrachtete. Das äußere Erscheinungsbild war trotz der offensichtlichen Ähnlichkeit ganz unterschiedlich. Sie hatten beide die gleiche schlanke Figur, große hellgraue Augen, eine markante Nase, ein Grübchen im Kinn und aschblonde Haare. In ihrem Styling unterschieden sie sich jedoch gründlich. Die eine trug die Haare hochgesteckt, die andere ließ sie über die Schultern fallen, die eine war elegant gekleidet, trug einen engen, knielangen Rock, hochhackige Pumps, eine weiße Bluse und darüber eine schlichte Strickjacke, während die andere in legeren Jeans und Turnschuhen steckte und auf jede dekorative Kosmetik verzichtet hatte. Der kunterbunte Pullover, den sie trug, war so knapp geschnitten, dass bei jeder Bewegung ihres Oberkörpers ein Stück Haut von Bauch oder Rücken zu sehen war.
    »Eine Nachbarin von mir hatte auch eineiige Zwillinge!« Mamma Carlotta hatte ihr Erstaunen allmählich überwunden. »Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen. Niemand konnte sie auseinanderhalten. Sogar die eigene Mutter verwechselte sie gelegentlich. Leider weiß ich nicht, was aus ihnen geworden ist, weil der Mann früh starb und die Mutter der Zwillinge sich neu verheiratete und nach Rom zog.«
    Die beiden Frauen zeigten deutlich, dass sie sich für andere Zwillingsschicksale kein bisschen interessierten und der
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